Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, – © Hans-Jürgen Bidmon
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Meyer - 2025 - 01

Meyer, Albin, Corinne Grac, Frédéric Labat, Johannes Meka, Karina A. E. van der Zon, Kathrin Theissinger & Jean-Yves Georges (2025): Testing the Optimal Foraging Theory in a Generalist Feeder: The Case of Reintroduced European Pond Turtles and Its Impact on Macroinvertebrates Communities. – Ecology and Evolution 15(8): e71823.

Das Testen der Theorie zur Optimalen Nahrungssuche bei einem Ernährungsgeneralisten: Der Fall der wiederangesiedelten Europäischen Sumpfschildkröte und ihre Auswirkungen auf die Makroinvertebraten-Gemeinschaften.

DOI: 10.1002/ece3.71823 ➚

Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, – © Hans-Jürgen-Bidmon
Europäische Sumpfschildkröte,
Emys orbicularis,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Im Zusammenhang mit dem Rückgang der Artenvielfalt gilt die Wiederansiedlung von Arten als vielversprechende Strategie zur Eindämmung des Artensterbens. Die Auswirkungen der Einführung einer ehemals ausgestorbenen Art in bestehende Ökosysteme sind jedoch hinsichtlich der Ökosystemfunktionen und der trophischen Ökologie nur unzureichend dokumentiert, insbesondere im Fall von wiederangesiedelten Generalisten. Basierend auf der Theorie zur optimalen Nahrungssuche haben wir die Annahme getestet, dass die generalistische Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) sich von einer Vielzahl von Beutetieren ernährt, jedoch ihre Energieaufnahme optimiert, indem sie größere und/oder weichere Beutetiere bevorzugt. Wir haben die Ernährung von in Gefangenschaft gezüchteten Schildkröten untersucht, die im Gebiet Woerr im Oberrheintal im Nordosten Frankreichs ausgesetzt wurden. eDNA-Metabarcoding wurde an Kotproben von 15 subadulten Individuen durchgeführt, wobei der Schwerpunkt auf den verzehrten Makroinvertebraten (MI) lag, die als Hauptbeute dieser Art gelten. Darüber hinaus untersuchten wir die zeitlichen Trends der MI-Gemeinschaft während aufeinanderfolgender Schildkrötenfreisetzungen über einen Zeitraum von 5 Jahren, um die Auswirkungen der Wiederansiedlung der Schildkröten auf die Funktionsweise des Ökosystems zu bewerten. Schildkrötenkot-eDNA-Analysen ergaben, dass die Schildkröten nach ihrer Freilassung eine sehr abwechslungsreiche Nahrung nutzten (Insekten, Schnecken, aber auch Pflanzen und Amphibien). Wichtig ist, dass die Schildkröten eine Vorliebe für Beutetiere mit relativ großer Körpergröße und hoher Lebenserwartung zeigten (Odonata, Coleoptera und Hemiptera). Die sukzessive Freilassung der Schildkröten hatte jedoch im Laufe der Zeit keinen Einfluss auf die MI-Gemeinschaft. Wir kommen deshalb zu dem Schluss, dass die wiederangesiedelten Europäischen Sumpfschildkröten als neue Spitzenprädatoren im System fungieren, wobei größere Schildkröten potenziell größere Beutetiere fressen, wie es ihre opportunistische, generalistische Ernährungsökologie vermuten lässt, ohne jedoch die gesamte MI-Gemeinschaft zu verändern, was höchstwahrscheinlich auf den geringen Prädationsdruck zurückzuführen ist, den sie auf die Beutegemeinschaft ausüben. Diese Studie unterstreicht die Bedeutung von Naturschutzinitiativen wie der Wiederansiedlung von Arten, die der lokalen Biodiversität zugutekommen, ohne die bestehende Funktionsweise des Ökosystems zu gefährden.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun diese sehr interessante Studie bestätigt in Bezug auf die Ernährung auch frühere Arbeiten (Ficetola & De Bernardi, 2006) und sie kommt zu einem sagen wir einmal wünschenswerten Ergebnis, denn die Sumpfschildkröten wirken sich nicht Bestandsdezimierend auf die am Ansiedlungsort vorkommende Insektenfauna aus. Ob man diesen Befund aber verallgemeinern kann bleibt fraglich, denn er könnte auch darauf beruhen, dass in diesem Ansiedlungsgebiet für die Europäische Sumpfschildkröte keine im Bestand bedrohten Envertebratenspezies vorkommen. Denn es gibt auch Beispiele dafür, dass Schildkröten den Fortbestand von selten gewordenen Spezies bedrohen (Marchetti & Engstrom, 2025). Eigentlich würde man diesbezüglich auch einmal fordern können eine solche Studie als Vergleich für die sogenannten invasiven Schildkrötenarten in benachbarten Lebensräumen (Tietz et al., 2023) durchzuführen, denn mich würde schon interessieren wie die ausfallen würde und ob z. B. Trachemys scripta anderenorts den Verlust einheimischer Schildkröten ausgleichen könnten (siehe Dupuis-Désormeaux, et al., 2022 ). Damit möchte ich diese Wiederansiedlungsprojekte für heimische Arten nicht kritisieren. Möchte aber auch davor warnen etwas schön zu reden nur weil es ins Bild passt. Ein Paradebeispiel dafür ist ja gerade hier im Lande die übermäßige Wiederansiedlung des Weißstorchs, der noch dadurch verschlimmert wird, dass aus dem Nest gedrängte Jungstörche dann per Hand aufgezogen und ausgewildert werden. Das diese übermäßige Bestandsaufstockung aber auch dazu führt, dass dabei sehr bestandsbedrohte Populationen an Amphibien und Reptilien rapide dezimiert werden können, denn auch gerngesehene Beutegreifer können ja meist nicht zwischen schützenswerter und nicht unter Schutz stehender Beute unterscheiden.

Literatur

Ficetola, G. F. & F. De Bernardi (2006): Is the European „pond“ turtle Emys orbicularis strictly aquatic and carnivorous? – Amphibia-Reptilia 27(3): 445-447 oder Abstract-Archiv.

Dupuis-Désormeaux, M., J. E. Lovich & J. W. Gibbons (2022): Re-evaluating invasive species in degraded ecosystems: a case study of red-eared slider turtles as partial ecological analogs. – Discover Sustainability 3(1): 15 oder Abstract-Archiv.

Marchetti, M. P. & T. Engstrom (2015): The conservation paradox of endangered and invasive species. – Conservation Biology 30(2): 434-437 oder Abstract-Archiv.

Tietz, B., J. Penner & M. Vamberger (2023): Chelonian challenge: three alien species from North America are moving their reproductive boundaries in Central Europe. – NeoBiota 82(1): 1–21 oder Abstract-Archiv.

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