Unechte Karettschildkröte, Caretta caretta, – © Hans-Jürgen Bidmon

Arantes - 2020 - 02

Arantes, L. S., L. C. L. Ferreira, M. Driller, F. P. M. Repinaldo Filho, C. J. Mazzoni & F. R. Santos (2020): Genomic evidence of recent hybridization between sea turtles at Abrolhos Archipelago and its association to low reproductive output. – Scientific Reports 10(1): 12847.

Genomische Beweise für die kürzlich erfolgte Hybridisierung zwischen Meeresschildkröten im Abrolhos Archipel in Assoziation mit einer verringerten Reproduktion.

DOI: 10.1038/s41598-020-69613-8 ➚

Unechte Karettschildkröte, Caretta caretta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Unechte Karettschildkröte,
Caretta caretta,
© Hans-Jürgen Bidmon

Hybridisierungen zwischen Meeresschildkrötenspezies finden sich mit einer hohen Häufigkeit innerhalb zweier benachbarter Niststrände im nordöstlichen Brasilien. Um zu verstehen was die Folgen und die Konsequenzen dieser Hybridisierungen für die Erhaltung der Meeresschildkröten sind müssen wir das Ausmaß der Hybridisierung erfassen und uns dabei über die möglichen schädigenden Auswirkungen für die Hybridnachkommen im Klaren sein. Deshalb untersuchten wir die Hypothese zur Existenz eines neuen Hybriden-Hot spots vor brasiliens Nordostküste. Der Abrolhos-Archipel wird vom größten und reichhaltigsten Korallenriff des Südatlantiks umringt und ist dafür bekannt einen Niststrand für Unechte Karettschildkröten (Caretta caretta) zu beherbergen. In dieser Studie führten wir eine multidisziplinäre Untersuchung zum Ausmaß der Hybridisierungen bei Meeresschildkröten durch und erfassten deren Reproduktionsleistung entlang der Abrolhos-Strände. Die genetischen Daten von der mitochondrialen DNS (mtDNS) und von sechs autosomalen Markern zeigten, dass Vorkommen von Hybridweibchen der ersten Generation die auf Abrolhos nisteten und die aus einer Kreuzung von Echten Karettschildkrötenmännchen (Eretmochelys imbricata) und Unechten Karettschildkrötenweibchen hervorgegangen waren und es gab auch Rückkreuzungen bei den Schlüpflingen beider Elternspezies. Der Typ und das Ausmaß der Hybridisierungen wurde anhand genomischer Daten die mit der 3RAD-Methode erarbeitet wurden charakterisiert die auch die Rückkreuzungen zwischen den F1-Hybriden mit Unechten Karettschildkröten belegten. Die Daten zum Reproduktionserfolg der auf Abrolhos abgelegten Nester lässt vermuten, dass es zu Nachteilen bei den Hybridgelegen kommt, wenn man sie mit jenen von reinen Unechten Karettschildkröten vergleicht. Damit haben wir zum ersten Mal eine Assoziation zwischen Hybridisierung und einem erniedrigten Reproduktionserfolg gezeigt woraus sich eine Gefährdung für die Meeresschildkrötenerhaltung ergeben könnte.

Echte Karettschildkröte, Eretmochelys imbricata, – © Enrico Marcovaldi
Echte Karettschildkröte,
Eretmochelys imbricata,
© Enrico Marcovaldi

Kommentar von H.-J. Bidmon

Da haben sich die Autoren im letzten Satz aber vorsichtig ausgedrückt indem sie auf eine Gefährdung der Meeresschildkrötenerhaltung verweisen anstatt auf eine direkte Gefährdung der Tiere selbst. Sicher mag man dazu stehen wie man will, aber ob sich aus einer etwas verringerten Gelegegröße und/oder Schlupfrate gleich Nachteile ablesen lassen bleibt fraglich, denn beide Arten sind ja auch unterschiedlich groß was sich sowohl auf die Größe der Hybridmütter und die Gelegegröße dieser auswirken kann. Körpergröße hat ja bekanntlich auch einen Einfluss auf die Gelegegröße wie dies für viele Schildkrötenarten nachgewiesen wurde. Ob sich daraus aber ohne die entsprechenden Langzeitstudien durchgeführt zu haben nur Nachteile prognostizieren lassen bleibt fraglich, denn, wenn wir einmal in der Evolution ganz weit zurückschauen war schon das alleinige Hervorbringen von Zweigeschlechtlichen Arten mit einer Halbierung der Reproduktionsleistung verbunden und trotzdem wurde es zum Erfolgsmodell der Evolution. Ebenso kennen wir viele Beispiele wo Hybridindividuen Vorteile gegenüber den Elternarten hatten (siehe Hamilton & Miller, 2015; Best et al., 2017; Hedrik, 2019; Sagonas et al., 2019 und die dortigen Kommentare). Um aber solche etwaigen Vorteile zu erkennen müsste man nicht nur auf die aktuelle Reproduktionsleistung schauen sondern die Ursachen dafür analysieren den die Hybridindividuen unter bestimmten Umweltbedingungen Vorteile bieten. Denn wenn zwar aus den Nestern reinerbiger Eltern 20 % mehr Individuen schlüpfen als aus den Hybridgelegen aber letztendlich unter bestimmten Umweltbedingungen bei den Hybridindividuen die Überlebensrate bis zur Geschlechtsreife höher ausfällt als bei den reinerbigen Schlüpflingen würde das auf einen Langzeitvorteil für die Hybriden verweisen. Ja und die dort nistenden Hybridweibchen belegen ja eigentlich schon, dass sie bis zur Geschlechtsreife unter den für diese Populationen vorherrschenden Umweltbedingungen in relativ hoher Anzahl überlebt haben, denn sonst hätte man diese Beobachtungen dort nicht in der Form machen können. Ich will den Autoren damit nicht widersprechen, sondern nur zu mehr Vorsicht bei der Interpretation der Befunde ermahnen.
Warum diese Vorsicht bei der Dateninterpretation geboten ist möchte ich kurz an einem Beispiel erläutern. Wenn Sie sich den Titel der Arbeit von Hays et al. (2022) ansehen und mit dem Titel der Arbeit von Le Gouvello et al. (2019) vergleichen wurde in beiden eine Zunahme bei der Abundanz (Häufigkeit) fest gestellt, aber diese beiden sehr schönen und eine weite Zeitperiode überspannenden Arbeiten kommen dabei zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen, denn Hays et al. (2022) zeigen klar eine durchschnittliche Größenabnahme in einer Population in der die Anzahl der jungen Weibchen die zum ersten Mal ablegen stark zunimmt während Le Gouvello et al. (2019) zeigen, dass die Anzahl der Weibchen die zum ersten Mal ablegen sogar abnimmt und selbst bei den alten Weibchen ein negativer Zuwachs über die Zeit erkennbar wird ohne dass dafür schon alle Gründe bekannt sind. Beide in diesen Arbeiten vorgestellten Ergebnisse konnten aber nur durch diese eine große Zeitspanne umfassenden Datensammlungen herausgearbeitet werden und solche Langzeitdatensammlungen sind leider nur sehr selten verfügbar.

Literatur

Best, R. J., J. M. Anaya-Rojas, M. C. Leal, D. W. Schmid, O. Seehausen & B. Matthews (2017): Transgenerational selection driven by divergent ecological impacts of hybridizing lineages. – Nature Ecology & Evolution 1(11): 1757-1765 oder Abstract-Archiv.

Hamilton, J. A. & J. M. Miller (2015): Adaptive introgression as a resource for management and genetic conservation in a changing climate. – Conservation Biology 30(1): 33-41 oder Abstract-Archiv.

Hays, G. C., A. Taxonera, B. Renom, K. Fairweather, A. Lopes, J. Cozens & J.-O. Laloë (2022): Changes in mean body size in an expanding population of a threatened species. – Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 289(1976): 20220696 oder Abstract-Archiv.

Hedrick, P. W. (2019): Galapagos Islands Endemic Vertebrates: A Population Genetics Perspective. – Journal of Heredity 110(2): 137-157 oder Abstract-Archiv.

Le Gouvello, D. Z. M., M. Girondot, S. Bachoo & R. Nel (2020): The good and bad news of long-term monitoring: an increase in abundance but decreased body size suggests reduced potential fitness in nesting sea turtles. -Marine Biology 167(8): 112 oder in Abstract-Archiv.

Sagonas, K., A. Runemark, A. Antoniou, P. Lymberakis, P. Pafilis, E. D. Valakos, N. Poulakakis & B. Hansson (2019): Selection, drift, and introgression shape MHC polymorphism in lizards. – Heredity (Edinb) 122(4): 468-484 oder Abstract-Archiv.

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