Diamantschildkröte, Malaclemys terrapin, im Aquaterrarium mit Entengrütze – © Hans-Jürgen Bidmon

Wolak - 2010 - 01

Wolak, M. E., G. W. Gilchrist, V. A. Ruzicka, D. M. Nally & R. M. Chambers (2010): A Contemporary, Sex-Limited Change in Body Size of an Estuarine Turtle in Response to Commercial Fishing. – Conservation Biology 24(5): 1268-1277.

Eine derzeitige geschlechtsbezogene Veränderung der Körpergröße einer ästuarinen Schildkröte als Folge der kommerziellen Fangtechniken.

DOI: 10.1111/j.1523-1739.2010.01469.x ➚

Diamantschildkröte, Malaclemys terrapin, – © Hans-Jürgen Bidmon
Diamantschildkröte,
Malaclemys terrapin,
im Aquaterrarium
© Hans-Jürgen Bidmon

Juvenile Wachstumsraten und die Adultkörpergröße sind wichtige Komponenten zur Erfassung der Überlebensstrategien, da sie beide einen starken direkten Einfluss auf die Fitness haben. Die Diamantschildkröte (Malaclemys terrapin) zeigt einen Geschlechtsdimorphismus, sie ist langlebig und bewohnt Brackwasser entlang der Atlantik- und Golfküste der USA. In Teilen ihres Verbreitungsgebiets unterliegen die Schildkröten bedeutenden anthropogenen Einflüssen, die eine erhöhte Mortalität einschließen: Juvenile beider Geschlechter gelangen unbeabsichtigt in die Krabbenfallen der kommerziellen Krabbenfischer, in denen sie ertrinken. Adulte Weibchen erreichen allerdings eine Carapaxgröße, die sie ab einer gewissen Zeit schützt, da sie nicht mehr in die Fallen passen, Männchen jedoch erreichen so gut wie nie eine Größe, die ihnen diesen Schutz bieten würde. Wir verglichen deshalb die Altersstruktur, Carapaxdimensionen, Zuwachskurven und die Indizes für den Geschlechtsdimorphismus für die Diamantschildkrötenpopulation der Chesapeake Bay (wo die Mortalität für die Schildkröten durch die intensive Krabbenfischerei extrem hoch liegt) und verglichen sie mit jenen Schildkröten vom Long Island Sound und mit Museumspräparaten aus der Chesapeake Bay (keine der zuletzt genannten Vergleichsgruppen war durch die Krabbenfischerei beeinträchtigt). Wir kalkulierten auch die allochrone und synchrone Rate des evolutiven Wandels (Haldanes) für Männchen oder Weibchen, um zu erfassen, wie schnell sich bestimmte Eigenschaften innerhalb einer Population und zwischen den Populationen verändern. Wir fanden eine dramatische Verschiebung hin zu einer jüngeren Altersstruktur bei den Männchen, eine deutliche Verkürzung für die Zeitperiode, in der die Weibchen ihre Adultcarapaxgröße erreichen und ebenso fanden wir für die Weibchen, dass ihr Carapax um 15 % in der Breite zugenommen hatte, wobei sich für die Population der Chesepeak Bay der Geschlechtsdimorphismus noch verdeutlicht hatte. Unsere Ergebnisse zeigen einen deutlichen durch die Fischerei verursachten selektiven Zuwachs bei einer Reptilienspezies, die als Beifang gilt. Diese geschlechtsspezifischen Veränderungen (Anpassungen) der Lebensweise und bezüglich der Demographie haben Einfluss auf die Populationsentwicklung und sollten berücksichtigt werden, wenn man Schutzmaßnahmen für diese gefährdete Art erlässt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Liest man den letzten Satz, könnte man meinen, dass hier eine Auftragsstudie der Krabbenfischerlobby vorliegt, die zeigen soll, wie gut sich die betroffenen Populationen an die Situation anpassen. Somit ist es fraglich, ob diese künstlich (kommerziell) verursachten Veränderungen wirklich als natürlich anzusehen sind und deshalb für die Planung von Schutzmaßnahmen Relevanz haben sollten. Dennoch denke ich, dass diese Studie wirklich wichtige und grundlegende Daten für die Plastizität und Anpassungsfähigkeit von Arten im Geschehen der Evolution liefert. Hier hat der Mensch durch eine bestimmte Fangtechnik einen Selektionsdruck aufgebaut, der relativ schnell zu einer Veränderung von Größenparametern und Wachstumsgeschwindigkeiten geführt hat. Etwas, das man auch für eine der australischen Schildkrötespezies festgestellt hat (Fordham et al. 2007). Hier zeigt sich, welche Parameter im Natur- und Artenschutz wirklich wichtig sind, denn wenn die Habitate in Ordnung sind, können sich auch langlebige Schildkrötenarten Veränderungen und Bedrohungen stellen und anpassen, selbst dann, wenn sie hohe Verluste hinnehmen müssen oder vor der Anpassung hinnehmen mussten. In Gebieten, wo die Habitate zerstört sind, scheint das aussichtslos (siehe Lewis et al. 2004, Gerlach 2008). Aber auch diese Arbeit zeigt uns, wie schnell sich Arten in wenigen Jahrzehnten unter veränderten Umweltbedingungen verändern. Letzteres sollte uns immer wieder daran erinnern, was sehr wahrscheinlich in den langfristig angelegten Erhaltungszuchtprogrammen für stark bedrohte Arten unter artifiziellen Haltungsbedingen passiert. Etwas, das man eigentlich nur verhindern könnte, wenn man diese Erhaltungszuchten vor Ort in den natürlichen Biotopen realisieren könnte (siehe Kommentare zu Paitz et al. 2009). Zudem macht diese Beobachtung zwar auch deutlich, dass sich Populationen, die aus Erhaltungszuchtprogrammen stammen, sofern die Auswilderungshabitate optimal sind, wieder den ursprünglichen Gegebenheiten anpassen können, das dafür aber wesentlich längere Umgewöhnungsphasen und auswilderungsbegleitende Maßnahmen erforderlich sind, als heute diskutiert werden. Grundvoraussetzung scheint aber immer zu sein, dass die Habitate und die Anzahl der essentiellen Mikrohabitate vorhanden und in Ordnung sind, ebenso wie die Nahrungsgrundlagen entsprechend sein müssen. Beides sind Dinge, die oft kaum für die Gebiete bekannt sind, und sowohl bei Wiederansiedlungsprojekten als auch bei Headstartprojekten zu Fehlschlägen führen können (siehe Bertolero et al. 2007; Enneson & Litzgus 2008; Nelson et al. 2009 ).

Literatur

Bertolero, A., D. Oro, & A. Besnard (2007): Assessing the efficacy of reintroduction programmes by modelling adult survival: the example of Hermann's tortoise. – Animal Conservation 10(3): 360-368 oder Abstract-Archiv.

Enneson, J. J. & J. D. Litzgus (2008): Using long-term data and a stage-classified matrix to assess conservation strategies for an endangered turtle (Clemmys guttata). – Biological Conservation 141(6): 1560-1568 oder Abstract-Archiv.

Fordham, D. A., A. Georges & B. W. Brook (2007): Demographic response of snake-necked turtles correlates with indigenous harvest and feral pig predation in tropical northern Australia. – Journal of Animal Ecology 76(6): 1231-1243 oder Abstract-Archiv.

Gerlach, J. (2008): Fragmentation and demography as causes of population decline in Seychelles freshwater turtles (Genus Pelusios). – Chelonian Conservation and Biology 7(1): 78-87 oder Abstract-Archiv.

Lewis, T. L., J. M. Ullmer & J. L. Mazza (2004): Threats to spotted turtle (Clemmys guttata) habitat in Ohio. – Ohio Journal of Science 104(3): 65-71 oder Abstract-Archiv.

Nelson, D. H., G. J. Langford, J. A. Borden & W. M. Turner (2009): Reproductive and Hatchling Ecology of the Alabama Red-Bellied Cooter (Pseudemys alabamensis): Implications for Conservation and Management. – Chelonian Conservation and Biology 8(1): 66-73 oder Abstract-Archiv.

Paitz, R. T., A. C. Gould, M. C. N. Holgersson & R. M. Bowden (2009): Temperature, Phenotype, and the Evolution of Temperature-Dependent Sex Determination: How Do Natural Incubations Compare to Laboratory Incubations? – Journal of Experimental Zoology Part B Molecular and Developmental Evolution 314B(1): 86-93 oder Abstract-Archiv.

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