Zierschildkröte, Chrysemys picta, im Gartenteich – © Hans-Jürgen Bidmon

Valenzuela - 2019 - 01

Valenzuela, N., R. Literman, J. L. Neuwald, B. Mizoguchi, J. B. Iverson, J. L. Riley & J. D. Litzgus (2019): Extreme thermal fluctuations from climate change unexpectedly accelerate demographic collapse of vertebrates with temperature-dependent sex determination. – Scientific Reports 9(1): 4254.

Extreme Temperaturschwankungen bedingt durch den Klimawandel fördern unerwarteter Weise den demographischen Kollaps von Wirbeltieren mit einer temperaturabhängigen Geschlechtsausprägung.

DOI: 10.1038/s41598-019-40597-4 ➚

Zierschildkröte, Chrysemys picta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Zierschildkröte, Chrysemys picta,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Die globale Klimaerwärmung erfolgt sehr schnell und gefährdet die Wirbeltiere mit temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung (TSD) durch die Unterbrechung der ausgeglichenen Geschlechterverhältnisse und anderer Parameter. Weniger verstanden sind dabei die Auswirkungen von sich vergrößernden Temperaturschwankungsbereichen die laut den Vorhersagen den Klimawandel begleiten werden. Diese größeren Temperaturschwankungen könnten die Verweiblichung von Spezies fördern bei denen bei wärmeren Temperaturen Weibchen entstehen (was im Weiteren als Gefährdung von Tieren mit TSD verstanden werden soll) oder sie können dagegenhalten (was das Aussterberisiko reduzieren würde). Hier nutzen wir neue Experimente wobei wir die Eier der Zierschildkröte (Chrysemys picta) bei Temperaturprofilen inkubieren die als Replikate der schon im Freiland gemessenen Nesttemperaturen gelten können, wobei wir auch zusätzliche mathematisch-kalkulierte Profile mit gleicher Form aber mit größeren Temperaturoszillationen (Temperaturspitzen und Tiefstwerten) einsetzen um damit ein neues mathematisches Modell für die Analysen zu entwickeln. Wir zeigen, dass die Ausweitung der Temperaturschwankungen (Profile) um den (kühleren) Wert der Temperatur bei welcher Männchen entstehen sich mehr weibliche Embryonen entwickeln, wohingegen Embryonen bei den wärmeren Profilen sich zu Weibchen entwickeln oder versterben. Das erfolgt wahrscheinlich deshalb, weil größere Temperaturschwankungsbereiche dazu führen, dass sich bei während der zu kühlen Temperaturen ein Entwicklungsstopp einstellt und die Hauptentwicklungsphase der Embryogenese nur zu den weibchenproduzierenden Temperaturbereich stattfindet. Vergleichsweise erfahren die Embryonen die sich trotz größerer Temperaturschwankungsbreite bei insgesamt wärmeren Temperaturprofilen entwickeln sich zu Weibchen entwickeln (während jene die zu hohe Temperaturspitzen erfahren versterben) und alle nur weniger kühle Temperaturwerte erfahren die zu kurz oder nicht niedrig genug sind um eine männliche Entwicklung einzuleiten. Deshalb werden, wenn mit der globalen Erwärmung die Temperaturen eskalieren werden, bei den Schildkröten mit TSD eine Verweiblichung sehr schnell einsetzen die zum demographischen Populationskollaps und Aussterben führen wird. Nur sehr drastische globale CO2-Verminderungsszenarien wie (RCP2.6) können diese Risiken abwenden während nur mittelmäßige Reduktionen wie (RCP4.5 und RCP6.0 Szenarien) nur zu einer moderaten Feminisierung führen was hervorhebt wie gefährdend unzureichende Rückgänge bei den Emissionen von Treibhausgasen für die Spezies mit TSD sein werden. Wenn unsere Befunde verallgemeinerbar sind werden TSD-Squamata, Tuataras und Krokodile bei denen sich bei wärmeren Temperaturen Männchen entwickeln von einer Vermännlichung betroffen sein was ebenfalls die bedrohliche Situation die für solche TSD-Spezies und die ganze taxonomische Gruppe entstehen kann hervorhebt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Sicher Zierschildkröten können anders reagieren als Schnappschildkröten (siehe Leivesley et al., 2022 und den dortigen Kommentar), aber auch für Chrysemys-Arten ist bekannt, dass sie zum einen heute schon ein sehr ausgedehntes Nordsüd-Gefälle besiedeln und auch da schon mit erheblichen lokalen Temperaturunterschieden zurechtkommen müssen und sich entsprechend auch angepasst haben (z. B. Carter et al., 2019). Ja und wir wissen mittlerweile auch, dass auch sie lernfähig sind (z. B. Roth & Krochmal, 2016 und den dortigen Kommentar) und wohl auch diese Lernfähigkeit in Bezug auf die Nistplatzauswahl und in Bezug auf die Nesttiefe einsetzen können (z. B. Delaney et al., 2020). Ebenso können die Weibchen eventuell auch noch hormonell die Geschlechtsentwicklung in gewissen Umfang mit beeinflussen (siehe dazu Bowden & Paitz, 2021). Insofern können uns diese, wenn auch in mehrjährigen Abstand zueinander stehenden Studien zeigen wie sich der Erkenntnisstand weiterentwickelt und auch durch neue Erkenntnisse verändern kann. Wir sollten uns bei der Betrachtung dieser Szenarien auch nicht nur allein auf Temperaturen konzentrieren, denn gerade Chrysemys picta untergliedert sich ja gerade in vergleichsweise viele geographisch getrennte Unterarten die neben ihrer unterschiedlichen Zeichnungsmuster sicher auch physiologische Unterschiede aufweisen und wir wissen aus den paläontologischen archäologischen Befunden genauso wie aus den molekulargenetischen Verwandtschaftsbeziehungen, dass sich Lebensräume mit den Klimaveränderungen verschieben, sodass sowohl Unterarten wie auch Arten wieder durch Introgression verschmelzen können was ihnen ebenfalls in Bezug auf die Anpassungen an den Klimawandel in überlebenssichernder Weise helfen könnte. Auch dafür lassen sich Beispiele finden. Insofern denke ich, dass Schildkröten nur in den Lebensräumen nicht mehr überleben können, die entweder zu stark austrocknen oder die auch an anderer Stelle von einer zu starken Abkühlung betroffen sein könnten, denn auch solche Langzeitszenarien sind denkbar zumindest, wenn der Anstieg der Meeresspiegel durch die Gewichtszunahme bei der Wassermasse stellenweise so viel Druck auf die Erdkruste ausübt, dass wieder vermehrte vulkanische Aktivität zur Verschattung und Abkühlung ganzer Regionen führt. Sie sehen man kann diese Szenarien auch weiterdenken, denn auch dafür lieferte uns die Erdgeschichte schon genügend Anhaltspunkte. Wir sollten aber auch um mit einem etwas positiver stimmenden Ausblick zu enden auch daran denken, dass sich irgendwo auf diesem Planeten sich auch wieder günstigere Bedingungen für das Überleben von Panzerträgern einstellen kann, wenn man den Modellvorhersagen von Eustace et al., (2021) und Petrozzi et al., (2022) Glauben schenken kann und wir es bis dahin geschafft haben sollten diese Spezies zu erhalten.

Literatur

Bowden, R. M. & R. T. Paitz (2021): Is Thermal Responsiveness Affected by Maternal Estrogens in Species with Temperature-Dependent Sex Determination?. – Sexual Development 15(1): 69-79 oder Abstract-Archiv.

Carter, A. L., B. L. Bodensteiner, J. B. Iverson, C. L. Milne-Zelman, T. S. Mitchell, J. M. Refsnider, D. A. Warner & F. J. Janzen (2019): Breadth of the thermal response captures individual and geographic variation in temperature‐dependent sex determination. – Functional Ecology 33(10): 1928-1939 oder Abstract-Archiv.

Delaney, D. M., L. A. Hoekstra & F. J. Janzen (2020): Becoming creatures of habit: Among‐ and within‐individual variation in nesting behaviour shift with age. – Journal of Evolutionary Biology 33(11): 1614-1624 oder Abstract-Archiv.

Eustace, A., L. F. Esser, R. Mremi, P. R. Malonza & R. T. Mwaya (2021): Protected areas network is not adequate to protect a critically endangered East Africa Chelonian: Modelling distribution of pancake tortoise, Malacochersus tornieri under current and future climates. – PLoS One 16(1): e0238669 oder Abstract-Archiv.

Leivesley, J. A., E. G. Nancekivell, R. J. Brooks, J.D. Litzgus & N. Rollinson (2022): Long-Term Resilience of Primary Sex Ratios in a Species with Temperature-Dependent Sex Determination after Decades of Climate Warming. – The American Naturalist 200(4): 532-543 oder Abstract-Archiv.

Petrozzi, F., P. McGovern, T. Diagne & L. Luiselli (2022): Analysis of current and future habitat distribution models for the African Spurred Tortoise, Centrochelys sulcata. – Journal of Arid Environments 205(104825): 1-6 oder Abstract-Archiv.

Roth, T. C. II & A. R. Krochmal (2016): Cognition-centered conservation as a means of advancing integrative animal behavior. – Current Opinion in Behavioral Sciences 6: 1-6 oder Abstract-Archiv.

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