Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Juergen-Bidmon

Singh - 2020 - 01

Singh, S. K., D. Das & T. Rhen (2020): Embryonic Temperature Programs Phenotype in Reptiles. – Frontiers in Physiology 11: 35.

Die Temperaturprogramme der Embryonalphase programmieren den Phänotyp bei Reptilien.

DOI: 10.3389/fphys.2020.00035 ➚

Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Jürgen Bidmon
Schnappschildkröte,
Chelydra serpentina,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Reptilien werden insbesondere während ihres gesamten Lebens von der Temperatur beeinflusst, was ganz besonders bei den frühen Entwicklungsstadien erkennbar wird. Temperatur-induzierte Veränderungen beim Phänotyp liefern spezifische Beispiele für ein wesentlich weitreichenderes Phänomen das wir als „Phänotypische-Plastizität“ bezeichnen die beschreibt wie ein einzelnes Individuum in die Lage versetzt wird unterschiedliche Phänotypen auszuprägen, wenn es unterschiedlichen Umweltbedingungen ausgesetzt ist. Mit dem beispiellos schnell fortschreitenden Klimawandel wird es wichtiger die Temperaturauswirkungen auf Reptilien zu untersuchen. Zum Beispiel werden die globalen, potentiellen Auswirkungen der globalen Erderwärmung insbesondere wichtig für Arten die eine temperaturabhängige Geschlechtsausprägung (TSD) aufweisen, weil bei ihnen die Temperatur einen direkten Effekt auf einen Schlüsselphänotyp (Geschlecht) und damit auf einen Schlüsselfaktor wie die Populationsdemographie (Geschlechterverhältnis innerhalb einer Population) hat. Reptilien mit TSD dienen als Modellorganismen für das Studium der thermalen Auswirkungen auf deren Entwicklung und damit auch auf andere Eigenschaften die einer kontinuierlichen Veränderung unterliegen können. Die Temperatur beeinflusst direkt die Metabolismusrate und damit auch die Entwicklungsrate von Embryonen und sie kann permanente Auswirkungen auf den Phänotyp haben, die über die Embryonalphase hinaus ein Leben lang bestehen bleiben. Zum Beispiel programmiert die Inkubationstemperatur die nach dem Schlupf stattfindende Hormonproduktion und die Wachstumsphysiologie die einen wesentlichen Einfluss auf die Fitness der Nachkommen haben. Hier liefern wir eine Übersicht über das derzeit verfügbare Wissen über die Auswirkungen der Temperatur auf die phänotypische und die Entwicklungsplastizität bei Reptilien. Zuerst adressieren wir die direkten Auswirkungen der Temperatur auf die biophysikalischen Prozesse und das Konzept der „Thermalen-Leistungskurven“ sowie den Prozess der Thermalen-Akklimatisation. Im Anschluss an die Beschreibung und Diskussion dieser reversiblen Auswirkungen fokussieren wir das Gro dieses Reviews auf die Temperaturauswirkungen und auf die Programmierung der phänotypischen Entwicklung während der Embryogenese (z. B. auf die permanent, bestehenbleibenden Entwicklungseffekte). Wir fokussieren uns dabei auch nur auf die oviparen Spezies, da Eier besonders empfindlich auf Veränderungen bei der Umgebungstemperatur reagieren. Wir diskutieren dabei auch die kürzlich erfolgten Arbeiten zur Rolle von epigenetischen Einflüssen die sich modulierend auf die Temperatur-induzierten phänotypischen Veränderungen auswirken. Basierend auf den Erkenntnissen über phänotypische Temperatureffekte kehren wir zurück zur Betrachtung der potentiellen Einflüsse die bedingt durch den Klimawandel auf die Reptilien einwirken können. Ja und zum Abschluss adressieren wir noch Schlüsselfragen für zukünftige Forschungsarbeiten einschließlich der Identifizierung der Temperatursensoren und die Erhebungen zur genetischen Variation in Bezug auf die Thermosensitivität.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hier handelt es um einen sehr informativen Übersichtsartikel, der wirklich umfassend die Faktoren erklärt und darstellt die im Zusammenhang mit der Temperatur die Lebensparameter von Reptilien und insbesondere deren Embryonalentwicklung beeinflussen. Es geht zwar dabei um Reptilien im Allgemeinen, aber viele der dort erklärten und diskutierten Eigenschaften wurden an Schildkröten wie der Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, und anderen Modellarten erarbeitet. Im Einzelnen haben wir diese schon des Öfteren in anderen Kommentaren diskutiert, aber hier sind sie einmal bezogen auf die Temperaturauswirkungen zusammengestellt: Angefangen mit Wachstumsraten, Metabolismusanpassungen, Gradienten-Gegenläufiges-Wachstum, Phänotypische-reversible und nicht-reversible Plastizität, TSD-Typen, Hormonproduktion, Thermale-Leistungskurven, genetische und epigentische Einflüsse. Das einzige große Thema, das hier nicht (aber natürlich für die die zwischen Zeilen lesen können indirekt) angesprochen wird sind die temperaturbezogenen Auswirkungen auf das angeborene und humorale Immunsystem. Insofern bietet dieser Review eine gute Möglichkeit sich in die Thematik einzuarbeiten insbesondere dann, wenn man sich die Zeit nimmt auch den einen oder anderen Aspekt noch durch die angeführte Literatur zu vertiefen. Ja und die zum Abschluss erwähnten Schlüsselfragen bezgl. der Thermosensitivität sind wohl so umfangreich und schwierig zu beantworten, dass wir da wohl noch eine ganze Weile auf eine Antwort warten müssen. Denn da es sich nicht um die Erforschung von Thermorezeptoren auf Zellen und in der Haut handelt die man sowohl strukturell und molekular sowie elektrophysiologisch untersuchen kann sondern um temperaturabhängige, komplexe, oft nicht-lineare biochemische Prozessabläufe müssen wir diesbzgl. wohl wirklich warten bis leistungsfähigere Computer und Modellierungsansätze verfügbar sind die solche multifaktoriellen, komplexen Abläufe analysieren und simulieren können, um überhaupt eine Vorstellung davon zu bekommen auf was man dann bei in vivo Experimenten experimentell alles achten muss um zu überprüfen ob die Modelle auch wirklich die biologisch und abiotisch relevanten Parameter aufzeigen. Man denke nur an die komplexen Befunde zur Geschlechtsausprägung bei Chrysemys picta (Carter et al., 2019; Breitenbach et al., 2020).

Literatur

Breitenbach, A. T., A. W. Carter, R. T. Paitz & R. M. Bowden (2020): Using naturalistic incubation temperatures to demonstrate how variation in the timing and continuity of heat wave exposure influences phenotype. – Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 287(1932): 20200992 oder Abstract-Archiv.

Carter, A. L., B. L. Bodensteiner, J. B. Iverson, C. L. Milne-Zelman, T. S. Mitchell, J. M. Refsnider, D. A. Warner & F. J. Janzen (2019): Breadth of the thermal response captures individual and geographic variation in temperature‐dependent sex determination. – Functional Ecology 33(10): 1928-1939 oder Abstract-Archiv.

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