Unechte Karettschildkröte, Caretta caretta, ein Schlüpfling – © Gabriel Soeiro

Soeiro - 2022 - 01

Soeiro, G., E. M. da Silva & A. O. H. C. Leduc (2022): Sea turtle hatchlings can distinguish between coastal and oceanic seawaters. – Journal of Experimental Biology 255(17): jeb244702.

Meeresschildkrötenschlüpflinge können zwischen küstennahen und ozeanischen Meerwasser unterscheiden.

DOI: 10.1242/jeb.244702 ➚

Unechte Karettschildkröte, Caretta caretta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Unechte Karettschildkröte,
Caretta caretta,
© Hans-Jürgen Bidmon

Nach ihrem Schlupf an Land müssen die Meeresschildkrötenschlüpflinge in den offenen Ozean hinausschwimmen. Ob die Schlüpflinge ökologisch und funktionell wichtige chemische Signale die im Meerwasser gelöst sind und charakteristisch für die Meerwasserhabitate sind wahrnehmen können ist bislang unbekannt. Wir sammelten Meerwasser in einer Entfernung von 6 km zum Niststrand und in einer Entfernung von 27 km vor der brasilianischen Küste, sprich innerhalb und außerhalb der kontinentalen Platte (Rücken). In einen Zweiwege-Auswahlexperimentcontainer indem zwei getrennte Meerwasserströmungen parallel verlaufen testeten wir frisch geschlüpfte Schlüpflinge (jünger als 24h) von Caretta caretta in diesen 2 Meerwassertypen (küstennah versus offener Ozean). Auf Grund ihrer Lebensweise gingen wir davon aus, dass die Schlüpflinge, wenn sie zwischen diesen beiden Meerwassertypen unterscheiden können, das Meerwasser aus dem offenen Ozean bevorzugen sollten wohingegen sie das küstennahe Meerwasser langfristig vermeiden sollten. Die Schlüpflinge wurden einzeln getestet und konnten dabei frei jede der beiden Meerwasserströmungen aufsuchen. Wir zeichneten auf welche der beiden Meerwasserströmungen zuerst aufgesucht wurde sowie die Zeitperiode für die sie sich in jeder der beiden Meerwassertypen aufhielten. Bei allen Tests wurde zu Beginn gleich von 70 % der Schlüpflinge die ozeanische Meerwasserströmung aufgesucht und dort verbrachten sie auch 70 % der Gesamttestzeit. Die Fähigkeit der Schlüpflinge zwischen diesen Meerwassertypen zu unterscheiden kann ihnen zielorientierte Wahrnehmung und entsprechende Informationen liefern.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Studie liefert uns die Erkenntnis, dass die Schlüpflinge zwischen diesen habitatspezifischen Meerwassertypen unterscheiden können. Allerdings sollte man dabei auch berücksichtigen, dass ja alle Schlüpflinge zuerst durch die küstennahe Meerwasserzone schwimmen müssen ehe sie die Strömungen im offenen Ozean erreichen in denen sie ihre ersten Lebensjahre verbringen. Diese erste Lebensphase im küstennahen Meerwasser ist aber auch zumindest für einige der daraufhin untersuchten Meeresschildkrötenarten wichtig, da sie für deren Niststrandprägung mitverantwortlich ist. So werden z. B. frisch geschlüpfte Junge der Lederrückenschildkröte erst in das strandnahe Flachwasser gesetzt und dann wieder mit Käschern eingefangen, damit sie diese Niststrandprägung erhalten bevor sie im Meerwasser in einem artifiziellen Headstart-Programm aufgezogen werden. Man sollte hier also vorsichtig sein und es wäre interessant zu wissen, ob die Schlüpflinge aus einem solchen Experiment, die von Anfang an nur das ozeanische Meerwasser kennengelernt haben auch eine erfolgreiche Niststrandprägung erfahren haben und später dorthin zurückkehren würden. Sicher kann die Niststrandprägung auch schon während der Entwicklungszeit im Nest beginnen, aber es bleibt fraglich wie gut oder ob sie dorthin zurückfinden können, wenn ihnen die vermutlich olfaktorischen (geruchliche) Informationen aus der vorgelagerten küstennahen Meerwasserzone die sie normalerweise durchqueren müssten fehlt? Nichtsdestotrotz haben wir aber hier wieder ein schönes Beispiel für die kognitiven Fähigkeiten im Zusammenhang mit der zielorientierten Navigation bei Schildkröten (siehe dazu auch Hays et al., (2020); sowie Xiao et al., (2021) und die dortigen Kommentare).

Literatur

Hays, G. C., G. Ceritelli, N. Esteban, A. Rattray & P. Luschi (2020): Open Ocean Reorientation and Challenges of Island Finding by Sea Turtles during Long-Distance Migration. – Current Biology 30(16): 3236-3242.e3 oder Abstract-Archiv.

Xiao, F., R. Bu, L. Lin, J. Wang & H. Shi (2021): Home-site fidelity and homing behavior of the big-headed turtle Platysternon megacephalum. – Ecology and Evolution 11(11): 5803-5808 oder Abstract-Archiv.

Galerien