Pocock - 2006 - 01

Pocock, C. (2006): Turtle riding on the Great Barrier Reef. – Society & Animals 14(2): 129-146.

Schildkrötenreiten am Great Barrier Riff.

DOI: 10.1163/156853006776778789 ➚

Schildkrötenreiten war einst eine populäre Freizeitbeschäftigung von Urlaubern am Great Barrier Riff an der Nordostküste Australiens. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war es einer der am meisten beeinflussenden Wege für Touristen mit lebenden Meerestieren in Kontakt zu treten. Die Brutsaison der Schildkröten ermöglichte es Touristen, weibliche Schildkröten aus dem Meer kommen zu sehen und bei der Eiablage zu beobachten. Ebenso konnten sie das Schlüpfen der Jungen und deren Wanderung ins Meer beobachten. Das Beobachten dieser See-Land-See-Transformation sowie die Aktivitäten brachten eine einzigartige Form einer Mensch-Tier-Beziehung mit sich und war ein integraler Bestandteil dafür, die Besucher für die marine Fauna zu begeistern und speziell ein Verständnis für die Bedürfnisse von Meeresschildkröten zu schaffen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Sicherlich wird jeder Naturschützer erst einmal zurückschrecken und sich dann freuen, dass diese Zeiten vorbei sind. Allerdings halte ich diese Sicht für voreilig. Denn man sollte sich auch fragen, ob denn der Schutz von Meeresschildkröten überhaupt, auch ohne dass es diese frühe Mensch-Tier-Beziehung gegeben hätte, schon so weit wäre, wie er heute ist. Ein Bewusstsein für etwas entwickelt man oft nur unter dem Einfluss des direkten Kontakts (dabei sind insbesondere Kindheitserlebnisse entscheidend). Wenn ich heute in einigen Gazetten lese, dass man beklagt, dass Schüler keine Beziehung mehr zur Natur haben, dass Artenkenntnis kaum noch vorhanden ist, dass der Deutsche Jagdverband in einer in Auftrag gegeben Studie den Verlust der Beziehung zur Natur bei Schülern beklagt, dann frage ich mich ernsthaft, ob wir beginnen, den Bogen zu überspannen. Sind wir nicht selbst schuld an dieser Entwicklung? Denn wenn überall nur Schilder stehen wie: „Betreten verboten“, „Schutzgebiet: anfassen von Pflanzen und Tieren untersagt“ etc., wer soll denn da noch ein Bewusstsein für etwas entwickeln oder eine Beziehung zu etwas aufbauen können? Klar sollte aber auch sein, dass es ohne dieses „innige“ Bewusstsein auch schwer sein dürfte, Naturschutz zukünftig durchsetzen zu können. Oder würden Sie sich für etwas begeistert einsetzen wollen, das seit ihrer Kindheit nur mit Verboten und Maßreglungen assoziiert worden ist. In meiner Kindheit waren Molche, Feuersalamander, Frösche und Schlangen noch Tiere zum Anfassen und wurden auch einmal im Terrarium gepflegt, ohne dem wäre wohl weder eine Beziehung zu diesen Kreaturen noch ein Bewusstsein für deren derzeitigen Schutz entstanden. Wenn also Naturschutz- und Landschaftsschutzverbände sich um das zukünftige Verständnis für ihre Aktivitäten in der Bevölkerung sorgen, dann sollten sie schleunigst darüber nachdenken, wie sie den praktischen Umgang mit der belebten Natur wieder für breite Bevölkerungsschichten und insbesondere für die Jugend ermöglichen. Verbote sind dazu der absolut falsche Weg! Eines der besten Beispiele ist doch der Igel. Das Bewusstsein für die Bedürfnisse dieser geschützten Art hat sich stetig verbessert, seit es erlaubt ist, untergewichtige Jungtiere über den Winter zu pflegen und zu füttern. Wer das einmal gemacht hat, der weiß auch trotz deutscher Ordnungsliebe, wie eine igelgerechte Garten- bzw. Lebensraumgestaltung auszusehen hat. (siehe auch Kommentar zu Perez et al. (2004)). Sicherlich muss sich der aktuelle Naturschutz auch um die Spezies kümmern, deren Existenz nur durch die Aufrechterhaltung einer großen Fluchtdistanz zum Menschen wie z. B. bei Schwarzstorch oder Großtrappe zu sichern ist, aber in vielen anderen Bereichen könnte man getrost die Bestimmungen lockern. Ich denke da nur an Gelbbauchunke und Kreuzkröte, die ja in den meisten noch bewirtschafteten Steinbrüchen häufiger sind, als in so manchem Naturschutzgebiet, hier könnte man ruhig großzügiger sein. Denn ob zu den oft zu Tausenden durch schwere Abbaumaschinen überfahrenen Kaulquappen noch ein paar hinzukommen, die sich ein Lehrer z. B. für den Biologieunterricht auch ohne große Formalitäten ins Klassenaquarium holt, das bringt diese Populationen nicht um, da ja gerade durch den Einsatz solcher Geräte genug neue Pfützen und Lebensräume zum Heranwachsen und zur Populationserhaltung entstehen. Solange wir aber unsere Schutzbestimmungen immer so eng fassen, dass fast jede auch gut gemeinte Annäherung bzw. Entnahme zu Unterrichtszwecken schon einen Straftatbestand erfüllt, solange werden wir wohl auch damit rechnen müssen, dass große Teile der heranwachsenden Generation für solche Dinge nur wenig Eigeninteresse entwickeln. Schade ist nur, dass diese Verbote doch in vielen Fällen an den wirklichen Ursachen der Bestandsbedrohung nichts ändern, denn der wirklich bedeutende Faktor ist doch der Habitatverlust. Dafür sind Amphibien und Reptilien ja gerade ein Paradebeispiel, weil sie eben auf genutzten Lebensräumen wie Steinbrüchen, Kiesgruben und Truppenübungsplätzen meist weit häufiger sind als in so manchem Naturschutzgebiet. Habitatverlust fängt eben nicht erst bei der großflächigen Bebauung ganzer Landstriche an, sondern schon damit, dass viele Feld- und Waldwege geteert werden oder so regelmäßig geschottert werden, dass sich kaum noch Pfützen bilden können. Die wenigen Pfützen, die sich noch bilden und manches Tier zum „Not“-Laichen verleiten, sind so flach, dass sie regelmäßig schneller austrocknen, als sich die darin geschlüpften Amphibienlarven entwickeln können. Tiefe Pfützen gibt's eben heute nicht mehr am Feld- bzw. Waldweg (Selbst Holzabfuhrwege, die gar keinen touristischen Nutzen als Wanderweg haben, werden vielerorts geschottert und/oder entwässert), sondern nur noch in Kiesgruben, an den Zufahrtswegen von Steinbrüchen und in den Spurrillen von Panzerfahrzeugen auf Truppenübungsplätzen. Daran haben auch die Aktivitäten der Naturschutzverbände bislang nichts ändern können oder wollen, denn auch deren Mitglieder wollen ja meist bequem und trockenen Fußes zu ihren Restbeständen oder Jagdgründen fahren.

Literatur

Perez, I., A. Gimenez, J. A. Sanchez-Zapata, J. D. Anadon, M. Martinez & M. A. Esteve (2004): Non-commercial collection of spur-thighed tortoises (Testudo graeca graeca): A cultural problem in southeast Spain. – Biological Conservation 118(2): 175-181 oder Abstract-Archiv.