Stachelrand-Gelenkschildkröte, Kinixys erosa, – © John Zoran

Pika - 2019 - 01

Pika, S. S., H. Klein, S. Bunel, P. Baas, E. Théleste & T. Deschner (2019): Wild chimpanzees (Pan troglodytes troglodytes) exploit tortoises (Kinixys erosa) via percussive technology. – Scientific Reports 9(1): 7661.

Wilde Schimpansen (Pan troglodytes troglodytes) nutzen Landschildkröten (Kinixys erosa) durch die Anwendung einer speziellen Technik.

DOI: 10.1038/s41598-019-43301-8 ➚

Stachelrand-Gelenkschildkröte, Kinixys erosa, – © John Zoran
Stachelrand-Gelenkschildkröte,
Kinixys erosa,
© John Zoran

Schimpansen (Pan troglodytes) eine dem Menschen am nahestehendste Verwandtschaftsgruppe, sind bekannt dafür, dass sie jagen und Fleisch von anderen Tierarten verzehren. Obwohl einige Forscher indirekte Nachweise hatten, dass Schimpansen auch Schildkröten fressen gab es bislang für dieses Jagdverhalten keine direkten Beweise. Hier liefern wir eine systematische Beschreibung für die ersten direkten Beobachtungen wie Schimpansen Landschildkröten der Art Kinixys erosa erbeuten. Wir machten diese Beobachtungen bei einer neu an das Vorhandensein von menschlichen Beobachtern gewöhnte Schimpansengruppe (Pan troglodytes troglodytes) der Rekambo-Gemeinschaft die im Loango National Park in Gabun lebt. Das Jagdverhalten konnte qualitativ als normal beherrscht eingestuft werden, da es bei allen adulten Männchen zu beobachten war, wobei sie eine ganz distinkte Aufschlagmethode zum Öffnen des Carapax anwendeten. Ebenso wurde beobachtet, dass sie danach die Beute mit anderen Mitgliedern der Gruppe teilten. Unsere Beobachtungen werfen ein neues Licht auf eine bis dahin wenig verstandene Schlagtechnik bei Schimpansen und sie erweitern unser Wissen über das Ernährungs- und Jagdrepertoire in Bezug auf Reptilien. Wir berichten ebenso über eine Form der Nahrungslagerung und diskutieren diese Beobachtung im Hinblick auf eine vorausschauende in die Zukunft gerichtete kognitive Fähigkeit. Unsere Befunde legen nahe, dass wir eine detailliertere Interpretation in Bezug auf die kognitiven Fähigkeiten von Schimpansen entwickeln sollten und zwar in Kombination mit einem tieferen Verständnis für eine einzigartige sozioökologische Einnischung. Die Befunde zeigen zudem die Wichtigkeit für vom Menschen unabhängige Primatenbeobachtung in der Wildnis um Inhalte für die Theorien zur menschlichen Evolution zu erarbeiten.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun es ist nicht gerade verwunderlich, dass Schimpansen ihren Speiseplan auch mit Schildkröten ergänzen. Die Frage ob ihnen das bestimmte Vorteile bringt, weil zum Beispiel gerade Kinixys-Arten dafür bekannt sind, dass sie auch als giftig eingestufte Pilze verzehren oder sich wie im Fall von K. erosa von einem beträchtlichen Anteil an Tausendfüßlern ernähren (siehe Hailey et al., 1998; 2001) die auch dafür bekannt sind, dass sie nicht nur reich an Kalzium und Phosphat sind, sondern auch zum Teil giftige Abwehrsekrete ausscheiden, ist noch unbekannt. Lediglich für den in Burkina Faso lebenden Stamm Bobo ist bekannt, dass sie nicht nur Buschfleisch, sondern auch insbesondere Tausendfüßler zur Ernährung eventuell aus medizinischen Gründen nutzen (Enghoff et al., 2014). Insofern könnte es hier bei den Kinixys jagenden Schimpansen nicht nur um Schildkrötenfleisch gehen, denn es könnte sein, dass diese für sie auch eine Krankheitserreger-abwehrende Bedeutung haben. Da diese höheren Primaten auch heute als unsere Vorfahren angesehen werden ist es schon interessant zu erkennen wie lange unsere eigene Evolutionsline an die Nutzung von Schildkröten angepasst ist oder aus unserer heutigen modernen Sicht angepasst war. Denn diese Beobachtung führt uns klar vor Augen, dass Schildkröten schon zum Speiseplan von Menschenaffen gehörten und nicht erst seit dem Auftreten der frühen Hominiden bis zu den Neanderthalern in unserer Evolutionslinie als Nahrung entdeckt wurden (siehe auch Nabais & Zilhão, 2019; Morcatty et al., 2020 und den dortigen Kommentar). Uns wird dabei klar, dass Schildkröten auch heute noch vielerorts zur menschlichen Ernährung und aus medizinischen Gründen genutzt wurden und werden. Was uns dabei aber auch auffallen sollte ist, dass Schildkröten mit Ausnahme von wenigen Inselvorkommen diese lange durch die Evolutionslinie der Primaten und Hominiden mitgeprägte Nutzung bis in unsere heutige Zeit überlebt haben, denn erst die letzten 3 bis 4 Jahrhunderte brachten für den Homosapiens solch gravierende gesellschaftliche Veränderungen und Errungenschaften, dass er zur Gefahr viele Tier- und Pflanzenarten wurde. Insofern kann man sich ja zwischen den Jahren durchaus einmal die Zeit nehmen nicht nur über die geschichtliche Nutzung von Europäischen Sumpfschildkröten als Fastenspeise nachzudenken, sondern auch einmal darüber wie viele Generationen sich von Beginn an von Schildkröten ernährt haben mögen? Ja und wenn wir uns dann darüber freuen, dass wir es hier in Europa geschafft haben auf andere Fleischarten für das Festmahl umzusteigen, dann sollten wir vielleicht auch schon mal etwas weiterdenken und uns die Frage stellen wie lange wir das im Sinne CO2- und Methanneutralität noch tun können? Eine Frage die durchaus berechtigt ist, wenn man sich einmal durch den Kopf gehen lässt, dass eine Befragung gerade auch unter den Anhängern der „Friday for Future Bewegung“ ergeben hat, dass die meisten diesen Verzicht für sich bislang nicht in Erwägung ziehen. Da bleibt dann nur die Frage wohin soll die Reise nicht nur für Schildkröten und andere Lebewesen, sondern auch für uns selbst langfristig gehen?

Literatur

Enghoff, H., N. Manno, S. Tchibozo, M. List, B. Schwarzinger, W. Schöfberger, C. Schwarzinger & M. G. Paoletti (2001): Diet mixing in the omnivorous tortoise Kinixys spekii. – Evidence-based Complementary and Alternative Medicine 2014: 651768; DOI: 10.1155/2014/651768 ➚.

Hailey, A., R. L. Chidavaenzi & J. P. Loveridge (2001): Diet mixing in the omnivorous tortoise Kinixys spekii. – Functional Ecology 12(3): 373-385; DOI: 10.1046/j.1365-2435.1998.00203.x ➚.

Hailey, A., I. M. Coulson & T. Mwabvu (2001): Invertebrate prey and predatory behaviour of the omnivorous African tortoise Kinixys spekii. – African Journal of Ecology 39(1): 10-17; DOI: 10.1111/j.1365-2028.2001.00260.x ➚.

Nabais M. & J. Zilhão (2019): The consumption of tortoise among Last Interglacial Iberian Neanderthals. – Quaternary Science Reviews 217: 225-246 oder Abstract-Archiv.

Morcatty, T. Q., A. S. Tavares, V. Nijman & J. Valsecchi (2020): Adapting a Traditional Hunting Technique to Improve Capture Rates for the Endangered Yellow-Footed Tortoise (Chelonoidis denticulatus) during Ecological Surveys in Amazonia. – Journal of Ethnobiology 40(2): 252-267 oder Abstract-Archiv.

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