Mason - 2013 - 01

Mason, G., Burn, C.C., Dallaire, J. A., Kroshko, J., McDonald Kinkaid, H. & J. M. Jeschke (2013): Plastic animals in cages: behavioural flexibility and responses to captivity. – Animal Behaviour 85(5): 1113-1126.

Plastische Tiere in Käfigen: Verhaltensflexibilität und Reaktionen auf die Gefangenschaftshaltung.

DOI: 10.1016/j.anbehav.2013.02.002 ➚

Milliarden von wilden oder halbwilden Tieren leben in Gefangenschaftshaltungen die sich sehr von ihren ursprünglichen Lebensräumen unterscheiden. Einige der wesentlichen Veränderungen die sie dabei erfahren sind die meist dichte Nähe zum Menschen, Beschränkung des natürlichen Verhaltens sowie veränderte klimatische Bedingungen die alle weitestgehend auch den Veränderungen entsprechen die während der Urbanisierung der Lebensräume oder einer Umsiedlung und anderen Formen von schnell erfolgenden menschlichen Eingriffen (HIREC, human induced rapid environmental changes) entsprechen. Diese Parallelen zwischen HIREC und der Gefangenschaftshaltung legen nahe, dass einige Arten doppelt gefährdet sind: wobei sie sowohl im Freiland wie in der haltungsbedingten Umwelt zu kämpfen haben. Diese Feststellung führt zu neuen Forschungshypothesen einschließlich jener die in dieser Arbeit überprüft wird und die besagt, dass das Vorhandensein einer Spezies in der Gefangenschaftshaltung Vorhersagen darüber zu lässt wie gut sie sich in eine neue Umwelt nach einer Umsiedlung in ein neues Habitat in der Wildnis eingewöhnen wird. Zusätzlich könnte das Verständnis der Mechanismen die bei Gefangenschaftspopulationen dafür verantwortlich sind, dass sie sich anpassen und wachsen oder aber absterben neue Einsichten darüber liefern wie Tiere auf HIREC reagieren. Zum Beispiel, Populationen die sich der Gefangenschaftshaltung anpassen können zeigen schnelle Entwicklungsanpassungen. Innerhalb von nur einer Generation können in Gefangenschaft aufgezogene Tiere positive phänotypische Veränderungen zeigen (z. B. weniger stark ausgeprägte Stressreaktionen als die wildgefangene F0 Generation der Eltern), was aufzeigt wie adaptive Entwicklungsplastizität hilfreich dazu beitragen kann dass diese Populationen unter diesen neuen Bedingungen überlebensfähig und erfolgreich bleiben. Allerdings zeigen in Gefangenschaft aufgezogene Tiere auch das Risiko, dass sie sich nun auch evolutionsmäßig in einer neuen Umwelt entwickeln (die ihre Verhaltensflexibilität reduziert und manchmal sogar die Reproduktion behindert) was nahe legt, dass eine abgebrochene Ontogenese ein Grund dafür sein kann warum HIREC Nachteile mit sich bringen kann (z. B. wenn immer so falsch inkubiert wird, dass keine Nachkommen schlüpfen). Allgemein betrachtet sind Analogien zwischen Gefangenschaftshaltung und HIREC interessant und nützlich. Allerdings unterscheidet sich die Gefangenschaftshaltung in einigen Aspekten von HIREC wobei insbesondere die Gefangenschaftshaltung für die Tiere meist weniger gefährlich verläuft aber dafür viel monotoner erfolgt aus diesem Grund bleibt uns bislang auch nur die Diskussion darüber wie artspezifische Risiko/Schutzfaktoren und die induzierten phänotypischen Veränderungen sich für die betroffenen Tiere auswirken und wie verschieden sie im jeweiligen Fall zwischen Gefangenschaftshaltung und HIREC sind.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine Arbeit die mit einem wenig konkreten Ansatz endet, die aber wie ich meine eines klar hervorhebt, nämlich, dass man sowohl aus der Gefangenschaftshaltung etwas über die Plastizität von Arten und Individuen lernen kann, wie auch klar erkennen kann, dass in Gefangenschaft nachgezogene Tiere eben auch sehr schnell Anpassungen zeigen, die sie klar von Wildtieren unterscheiden und die in vielen Fällen soweit gehen können, dass solche Tiere in der freien Wildbahn ohne besondere unterstützende Maßnahmen gar nicht mehr überlebensfähig sind. Solche plastischen Veränderungen (siehe auch Bidmon, 2014) beziehen sich ja oft nicht nur auf das Verhalten sondern auch auf physiologische Parameter genauso wie auf die Resistenz gegenüber bestimmten Krankheitserregern, denn solche Anpassungen sind meist sehr komplexer Natur was wir auch schon daran sehen, dass sich bei der Haltung in menschlicher Obhut sicher auch die Ernährung deutlich von jener in freier Wildbahn unterscheidet, was wiederum die Darmflora und Parasitenfauna beeinflusst usw. Daraus ergibt sich schon die Frage welche Ziele Erhaltungsnachzuchtprogramme wirklich verfolgen und ob man mit solchen Nachzuchten wirklich und unter welchen Bedingungen zurück in die freie Wildbahn gehen kann? Alle diese bislang ungelösten Problemfaktoren machen jedoch eines deutlich, dass es wo immer möglich besser ist die natürlichen wildlebenden Populationen zu erhalten und nicht weiter auszudünnen. Diesbezüglich sollten wir auch klar Abstand davon nehmen auch die heute noch in freier Wildbahn häufiger vorkommenden Spezies nicht weiter zu dezimieren und auf Wildfänge zu verzichten, denn wohin das führt kennen wir alle nur zu gut. Viele der Schildkrötenarten die heute so bedroht sind, dass manche sagen es gibt sie in der Natur nicht mehr waren auch einst die Tiere die eben leicht in Massen abzusammeln und billig zu vermarkten waren, sodass es fast schon nahe liegt, dass es den Spezies die heute noch häufiger vorkommen ähnlich ergehen könnte. Ja und nicht zuletzt gibt es mittlerweile ja auch gut belegte Daten die aufzeigen, dass die Existenz etlicher Arten eben klar von deren Individuenzahl mengenmäßig abhängt (siehe Romiguier et al. 2014). Nichtsdestotrotz, kann aber der Umgang mit und die Haltung von Nachzuchten dazu beitragen etwas über solche Arten zu lernen und vor allem dazu dienen ein Bewusstsein für deren Schutz und Erhaltungswert auf einer breiten Basis aufzubauen. Etwas worauf aus meiner Sicht weder der Natur- und Artenschutz noch die Umweltpolitik ohne triftigen Grund verzichten sollte, denn nur mit Verboten fördert man dieses gesellschaftliche Bewusstsein nicht!

Kommentar von H.-J. Bidmon

Bidmon, H.-J. (2014): Kommentar zu: Golubović, A., M. Andjelkovic, D. Arsovski, A. Vujovic, V. Ikovic, S. Djordjevic & L. Tomovic (2014): Skills or strength-how tortoises cope with dense vegetation? – Acta Ethologica 17(3): 141-147 oder Abstract-Archiv.

Romiguier, J., P. Gayral, M. Ballenghien, A. Bernard, V. Cahais, A. Chenuil, Y. Chiari, R. Dernat, L. Duret, N. Faivre, E. Loire, J. M. Lourenco, B. Nabholz, C. Roux, G. Tsagkogeorga, A. A.-T. Weber, L. A. Weinert, K. Belkhir, N. Bierne, S. Glémin & N. Galtier (2014): Comparative population genomics in animals uncovers the determinants of genetic diversity. – Nature 515(7526): 261-263 oder Abstract-Archiv.