Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, wird mit einem Apfel aus der Unterkunft gelockt – © Hans-Jürgen Bidmon

Garrick - 2015 - 01

Garrick R. C., Kajdacsi B., Russello M. A., Benavides E., Hyseni C., Gibbs J. P., Tapia W. & A. Caccone (2015): Naturally rare versus newly rare: demographic inferences on two timescales inform conservation of Galápagos giant tortoises. – Ecology and Evolution 5(3): 676-694.

Natürlicherweise selten versus neuerdings erst selten: Demograpfische Inferenzen auf zwei Zeitskalen informieren über die Arterhaltung von Galápagos-Riesenschildkröten.

DOI: 10.1002/ece3.1388 ➚

Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, – © Hans-Jürgen Bidmon
Galapagos-Riesenschildkröte,
Chelonoidis nigra,
wird mit einem Apfel
aus der Unterkunft gelockt
© Hans-Jürgen Bidmon

Die Langzeitbetrachtung der Populationsgeschichte kann Bedeutung für die Einschätzung der genetischen Auswirkungen von kürzlich erfolgten Flaschenhalsereignissen haben. Deshalb ist es für bedrohte und stark gefährdete Spezies vorteilhaft Informationen über ihre Vergangenheit zu haben, wenn es darum geht Erhaltungsstrategien auszuarbeiten. Die Ausmaße der Veränderungen bei neutralen Markersequenzen liefern nützliche Daten wenn es darum geht die lokal vorhandene effektive Populationsgröße (Ne) abzuschätzen und um erkennen zu können ob die Populationsgröße über die Zeit zu- oder abnahm. Zusätzliche Analysen der genotypischen, allelischen Häufigkeiten sowie die phylogenetischen Informationen bieten die Möglichkeit zwischen kürzlich erfolgten und lange zurückliegenden historischen demografischen Veränderungen zu unterscheiden. Für 15 Populationen von Galápagos-Riesenschildkröten (Chelonoidis sp.) verwendeten wir 12 Mikrosatellitenloci und DNS-Sequenzen aus der mitochondrialen Kontrollregion sowie ein nukleäres Intron um die demografische Geschichte zu analysieren und dabei Veränderungen die sich erst vor Kurzem einstellten (die letzten 100 Generationen, ˆ2500 Jahre) sowie die lange zurückliegenden (prae-Holozän, >10.000 Jahre zurück) aufzuklären. Auf der lange zurückreichenden Zeitskala zeigten drei Populationen deutliche Anzeichen für einen Zuwachs, aber von unterschiedlichen Größenordnungen und zu unterschiedlichen Zeitintervallen was nahe legt, dass es für alle drei Zuwachsereignisse unterschiedliche Ursachen gab. Zudem korrelierten die historischen lange zurückreichenden Ne Abschätzungen bei allen Populationen des gesamten Archipels weder mit dem Alter noch mit der Größe der jeweiligen Insel was deutlich hervorhebt wie Komplex die Situation ist und das es kaum möglich ist die demografische Geschichte a priori vorherzusagen. Auf der kurz zurückreichenden Zeitskala zeigen alle Populationen die Anzeichen für erfolgte genetische Flaschenhälse und bei 12 Populationen zeigten Punktabschätzungen vorübergehende Ne–Werte die sehr klein ausfielen (z.B., <50). Auf der Basis von Vergleichen zwischen diesen genetischen Abschätzungen und publizierten Zählungen der Individuen dieser Populationen lag der Ne–Wert im allgemeinen bei ˆ0.16 der Zensusgröße. Allerdings lagen die Schwankungen über alle Populationen betrachtet sehr hoch. Zusammenfassend lassen unsere Daten den Schluss zu, dass es zu idiosynkratischen und geographisch lokalisierten Vorkommnissen kam die die demographische Geschichte dieser Populationen formten. Zudem und aus dem Blickwinkel der Arterhaltung liefert die Trennung von demographischen Vorkommnissen die auf einer kurzfristigen Zeitskala liegen von denen die auf einer langfristigen Zeitskala erkennbar werden die Möglichkeit zur Identifizierung von natürlicherweise seltenen Arten und jenen die erst vor kurzem selten wurden. Diese Unterscheidung kann dazu genutzt werden entsprechende verbesserte Prioritäten für das Erhaltungsmanagement festzulegen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

In der Einleitung schildern die Autoren sehr schön, dass es sich bei den Galapagosriesenschildkröten um eine sich schnell ausbreitende und evolvierende „Gruppe“ handelt wobei ihre Demographie durch Gründerpopulationen und Speziationsereignisse geprägt ist. Die Besiedlung und damit Verbreitung erfolgte stochastisch (zufällig) aber es kam auch zu anderen prägenden Ereignissen wie dem vor ca. 100,000 Jahre zurückliegenden Vulkanausbruch auf Isabela der die dortige Population schwer getroffen haben dürfte.
Die Daten zeigten mit wenigen Ausnahmen 12 Cluster die den heute bekannten Arten entsprechen. Es konnten 15 Lokalpopulationen herausgearbeitet werden wobei nur
C. becki aus der Region Piedras Blancas eine Besonderheit zeigte. Zudem zeigte sich, dass für 4 +1 Spezies Ne–Werte kleiner als 50 auftraten, d. h. hier handelte es sich zeitweilig um sehr geringe Individuenzahlen aus denen sich die Populationen zum Teil während der letzten 2500 Jahre wieder aufbauten. Aber auch dabei gab es Anzeichen für Migrationen und einen immer fortschreitenden Genfluss, d.h. es scheint auch heute noch zum Genaustausch zu kommen. Nach diesen Untersuchungen kam es auf San Cristobal und Espanola zu starken Flaschenhälsen und auf Espanola zur Inzucht. Auf den zuletzt genannten kleinen Inseln wirkte sich das jüngste Schildkrötenschlachten der vergangenen Jahrhunderte eben gravierender aus.
Die Autoren schildern sehr schön die möglichen Gründe für diese Unterschiede wie Vulkanausbrüche, Meeresspiegelveränderungen und pleistozäne Klimaveränderungen die die Inseln und Populationen unterschiedlich beeinflussten. Heben aber auch klar hervor, dass die beiden auffälligen morphologischen Anpassungen wie der Sattelrücken oder der gewölbte Panzer wohl weniger mit dem Verwandtschaftsgrad als mit der ökologischen Habitatanpassung zu tun haben. Wie ich finde ein schönes Beispiel dafür, dass Gene eben nur die Befähigung zur Anpassung vererben, dass es aber die Umwelt ist die letztendlich die Anpassungsrichtung bestimmt (siehe Bidmon, 2014). Sicher da sich solche Anpassungen auch kurzfristig „vererben“ muss man davon ausgehen, dass wenn diese Unterschiede bei der Untersuchung der Gene keine damit in Zusammenhang stehenden Veränderung zeigen, dass es eben sehr wahrscheinlich epigenetische Faktoren auf der DNS oder gar der RNS sein kann, die hier zum Tragen kommen.
Interessant ist auch, dass wohl einstmals
C. ephippium auf der relativ kleinen, abgelegenen Insel Pinzon die größte Population stellte während andere Populationen auf größeren Inseln eher kleiner waren. Vielleicht beobachten wir hier ja ein altbekanntes Phänomen, denn unter den Botanikern ist schon lange bekannt, dass Orchideen hierzulande schon immer relativ selten waren und ihr temporäres Verschwinden weit weniger als Anzeichen einer negativen Umweltveränderung anzusehen ist als wenn es um das Zurückgehen der häufigen Arten geht (z. B. Wiesenschaumkraut) die klar zeigen, dass sich hier gravierende Veränderungen anbahnen oder schon zutage getreten sind.
Was mich aber an diesen Befunden immer noch fasziniert sind eben diese zeitlich langeauseinanderliegenden stochastischen Besiedlungsereignisse und Mehrfach-Besiedlungsereignisse, denn sie scheinen ja gerade zu zeigen welchen Vorteil das für das Überleben dieser Schildkröten hatte, denn wenn diese Wissenschaftler davon ausgehen, dass die Galapagosriesenschildkröten zu einer in evolutiven Zeiträumen gemessenen schnellen Ausbreitung und Anpassung an ihre Insellebensräume fähig sind, dann darf man wohl davon ausgehen, dass es auch dieses von Garrick et al. (2014) Phänomen zu sein scheint, dass ihnen dies ermöglicht und da wären wir dann bei der Beobachtung, dass solche Hybridisierungsereignisse die wohl für diese Tiergruppe in gewisser Weise charakteristisch zu sein scheint ihnen dabei helfen (siehe Kommentare zu Hennessy, 2015, Emerson & Faria, 2014; Godwin et al., 2014; Suzuki et al., 2014).

Literatur

Bidmon, H.-J. (2014): Kommentar zu: Golubović, A., M. Andjelkovic, D. Arsovski, A. Vujovic, V. Ikovic, S. Djordjevic & L. Tomovic (2014): Skills or strength-how tortoises cope with dense vegetation? – Acta Ethologica 17(3): 141-147 oder Abstract-Archiv.

Emerson, B. C. & C. M. A. Faria (2014): Fission and fusion in island taxa – serendipity, or something to be expected? – Molecular Ecology 23(21): 5132-5134 oder Abstract-Archiv.

Garrick, R. C., E. Benavides, M. A. Russello, C. Hyseni, D. L. Edwards, J. P. Gibbs, W. Tapia, C. Ciofi & A. Caccone (2014): Lineage fusion in Galápagos giant tortoises. – Molecular Ecology 23(21): 5276-5290 oder Abstract-Archiv.

Godwin, J. C., J. E. Lovich, J. R. Ennen, B. R. Kreiser, B. Folt & C. Lechowicz (2014): Hybridization of Two Megacephalic Map Turtles (Testudines: Emydidae: Graptemys) in the Choctawhatchee River Drainage of Alabama and Florida. – Copeia 2014(4): 725-742 oder Abstract-Archiv.

Hennessy, E. (2013): Producing ‘prehistoric’ life: Conservation breeding and the remaking of wildlife genealogies. – Geoforum 49: 71-80 oder Abstract-Archiv.

Suzuki, D., T. Yabe & T. Hikida (2014): Hybridization between Mauremys japonica and Mauremys reevesii Inferred by Nuclear and Mitochondrial DNA Analyses. – Journal of Herpetology 48(4): 445-454 oder Abstract-Archiv.

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