Rotbauch-Spitzkopfschildkröte, Emydura subglobosa, – © Hans-Jürgen Bidmon

Lee - 2019 - 01

Lee, L., E. E. Montiel & N. Valenzuela (2019): Discovery of Putative XX/XY Male Heterogamety in Emydura subglobosa Turtles Exposes a Novel Trajectory of Sex Chromosome Evolution in Emydura. – Cytogenetics and Genome Research 158(3): 160-169.

Die Entdeckung einer vermuteten männlichen XX/XY Heterogametie bei Emydura subglobosa-Schildkröten die einen neuen Weg in der Evolution der Geschlechtschromosomen bei Emydura offenlegt.

DOI: 10.1159/000501891 ➚

Rotbauch-Spitzkopfschildkröte, Emydura subglobosa, – © Hans-Jürgen Bidmon
Rotbauch-Spitzkopfschildkröte,
Emydura subglobosa,
© Hans-Jürgen Bidmon

Die Entdeckung von Geschlechtschromosomensystemen bei den sogenannten „Nicht-Modell–Organismen“ machte zunehmend darauf aufmerksam, dass die Geschlechtschromosomen sich über unterschiedlichste Wege evolvierten die bislang nicht vollständig aufgeklärt sind. Evolutionslinien mit einer labilen Art der Geschlechtsfestlegung wie die Schildkröten liefern hier wichtige Erkenntnisse obwohl die Datenlage oft unklar ist, insbesondere da in Bezug auf die Halsbergerschildkröten (Unterordnung Cryptodira) und für die Halswenderschildkröten (Unterordnung Pleurodira) kaum Daten verfügbar sind. Hier verwendeten wir klassische und molekulare zytogenetische Methoden um sie bei Emydura subglobosa (ESU) zu untersuchen. Dabei handelt es sich um eine bislang nicht untersuchte Halswenderschildkröte mit genetischer Geschlechtsausprägung aus der Familie der Chelidae bei der es zu ausgeprägten morphologischen Unterschieden zwischen den XX/XY-Systemen kommt. Unsere Daten repräsentieren die erste zytogenetische Beschreibung für ESU. Wir fanden Übereinstimmungen zwischen ESU und E. macquarii (EMA) wie eine identische Anzahl an Chromosomen (2n = 50), eine einzige dimorphe Nukleolus-Organisatorregion (NOR) die in einem Paar von Mikrochromosomen (ESU14) bei beiden Geschlechtern liegt (Nachweis via FISH der 18S rDNS). Nur die größere NOR ist dabei aktiv (Nachweis mittels Silberfärbung). Wie bei EMA zeigte die vergleichende Genomhybridisierung vermeintliche Makro-XX/XY-Chromosomen für ESU (das viertgröße Chromosomenpaar). Unsere vergleichenden Analysen sowie die Reevaluation früherer Daten sprechen stark für die Hypothese, dass das Emydura-XX/XY-System durch eine Fusion eines ursprünglichen Mikro-Y (welches bei Chelodina longicollis noch erhalten ist) mit einem Makroautosom evolvierte. Dieser Evolutionspfad unterscheidet von der angeblich unabhängigen Evolution von XX/XY aus ursprünglichen, separaten Autosomen bei Chelodina und Emydura das schon früher beschrieben wurde. Unsere Daten lassen eine Datierung für diese Y-Autosomfusion zu die mindestens bis zur Aufspaltung der Emydura vor etwa 45 Millionenjahren zurückgeht und sie liefern zusätzliche wichtige Informationen für die Evolution einer bemerkenswerten Diversität von Geschlechtsausprägungsmechanismen bei Schildkröten, Reptilien und Wirbeltieren.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine Arbeit, die neben der genetischen Geschlechtsausprägung bei E. subglobosa eben auch zeigt zu welcher Zeit sich diese Fusionsereignisse ereigneten. Allerdings keine dieser Studien liefert bislang klare Erkenntnisse darüber wie es zur Evolution von Temperatur-abhängiger und genetischer Geschlechtsausprägung kommt und welche Umweltbedingungen für diese Art von Anpassung verantwortlich gemacht werden können. Letzteres wäre aber gerade im Hinblick auf zukünftige klimatische Veränderungen interessant zu verstehen. Man könnte ja zum einen hypothetisch davon ausgehen, dass zum Beispiel Spezies die eine genetische Geschlechtsausprägung vererben jene sind die kältere oder auch extrem warme Lebensräume besiedeln können, da bei ihnen ja immer beide Geschlechter gezeugt werden. Während TSD-Spezies nur dort einen Selektionsvorteil haben könnten wo eben mehr oder weniger gemäßigte im Jahreszyklus oder zwischen den Jahren schwankende Temperaturen die Ausprägung beider Geschlechter mittels TSD garantieren. Da stellt sich aber dann die Frage welchen Selektionsmechanismen unterliegen diese Geschlechtsfestlegungsmechanismen. Bei Tieren mit ererbtem Geschlecht könnte es in sehr begrenzten Lebensräumen sehr schnell zur Inzucht kommen, wenn in dem Habitat eines Weibchens nur dessen männliche und weibliche Nachkommen leben und sich da gleich alt untereinander verpaaren. Dieses Inzuchtrisiko ließe sich nur für sehr mobile oder migrierende Arten abmildern, die bei ihren Wanderungen häufig mit neuen, fremden Geschlechtspartnern zusammentreffen. Für die meisten Landschildkröten mit ihren eher kleinräumigen Habitaten wäre so etwas sehr fraglich hier könnte man dann eher von der Hypothese ausgehen, dass die Männchen die aus den kühler inkubierenden ersten Frühjahrsgelegen Männchen hervorbringen die eventuell von anderen Männchen befruchtet wurden als die Weibchen die aus einem möglichen zweiten Sommergelege schlüpfen. Gleiches mag auch für unterschiedliche warme Jahre gelten. Wenn sich bei diesen Gelegen die Väter unterscheiden, dann wäre damit zumindest sichergestellt, dass es sich bei den Nachkommen hauptsächlich um Halbgeschwister handelt, die neben einander heranwachsen und die nächste Generation begründen würden. Zudem könnten dann die Weibchen die ja auch Sperma mehrerer Männchen über Jahre speichern können über diesen Weg auch die Anzahl von Halbgeschwistern innerhalb einer Geschlechtskohorte möglichst hochhalten. Alles Mechanismen die eigentlich für Arten mit nur vergleichsweise kleinem Aktionsradius den Genfluss möglichst hochhalten würden. Für mein Dafürhalten würde ich erwarten, dass es vielleicht doch noch Arten gibt die beide Arten der Geschlechtsausprägung realisieren können und vielleicht bieten ja die mit dem Klimawandel einhergehenden Bedingungen die Möglichkeit solche Arten oder Unterarten ausfindig zu machen, denn viele Spezies scheinen ja diesbezüglich noch nicht untersucht worden zu sein. Ob man solche Situationen und Phänomene auch in echten Langzeitstudien experimentell erzeugen und untersuchen kann bleibt bislang fraglich, da das für langlebige Arten eben schwer zu realisieren wäre. Inwieweit dazu dann auch epigenetische Mechanismen wie von Ge et al., (2018) erstmals klar nachgewiesen einen Beitrag leisten bleibt abzuwarten. Ich denke aber, dass man diesbezüglich auf die Biologie der Schildkröten vertrauen kann, denn diese Gruppe muss nachweislich anhand ihres fossilen Rekords schon viele Warm- und Kaltzeiten auf diesen Planeten überstanden haben und sie werden es sicher auch heute wieder schaffen solange wir ihnen dazu den Platz und die Möglichkeiten belassen.

Literatur

Ge, C., J. Ye, C. Weber, W. Sun, H. Zhang, Y. Zhou, C. Cai, G. Qian & B. Capel (2018): The histone demethylase KDM6B regulates temperature-dependent sex determination in a turtle species. – Science 360(6389): 645-648 oder Abstract-Archiv.

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