Maurische Landschildkröte, Testudo graeca, – © Hans-Jürgen Bidmon

Gracia - 2013 - 01

Gracia, E., A. Gimenez, J. D. Anadon, D. J. Harris, U. Fritz & F. Botella (2013): The uncertainty of Late Pleistocene range expansions in the western Mediterranean: a case study of the colonization of south-eastern Spain by the spur-thighed tortoise, Testudo graeca. – Journal of Biogeography 40(2): 323-334.

Die Ungewissheit, ob es im späten Pleistozän eine Lebensraumerweiterung in der westlichen Mediterranregion gab: Eine Fallstudie zur Besiedlung des südöstlichen Spaniens durch die Maurische Landschildkröte, Testudo graeca.

DOI: 10.1111/jbi.12012 ➚

Maurische Landschildkröte, Testudo graeca, – © Hans-Jürgen Bidmon
Maurische Landschildkröte,
Testudo graeca,
© Hans-Jürgen Bidmon

Ziel
Kürzlich durchgeführte biogeographische Studien postulierten eine spät-pleistozäne, nordafrikanische Herkunft für einige der Spezies, die heute die iberische Halbinsel besiedeln. Um allerdings eine solche Aussage treffen zu können, bedarf es einer gründlichen, mit hoher Auflösung durchgeführten Erfassung der Vorkommensgebieterweiterung mit entsprechenden molekularen Methoden, um das Ausmaß von überlagerten biogeographischen und kulturellen Prozessen zu analysieren. Hier versuchen wir herauszufinden, ob die Maurische Landschildkröte, Testudo graeca Südostspanien während geschichtlich erfassbarer Zeit oder während prähistorischer Zeiten besiedelte und ob ihre Verteilung innerhalb der iberischen Halbinsel durch den Menschen beeinflusst wurde.

Untersuchungsort
Das westliche mediterrane Becken (Südostspanienen, nördliches Algerien und nordwestliches Marokko).
Methoden: Wir untersuchten Probenmaterial von 428 Schildkröten von 19 verschiedenen Lokalitäten in Nordafrika und in 18 Lokalitäten im südöstlichen Spanien. Wir erhielten mitochondriale Sequenzen vom Cytochrom b-Gen sowie Genotypen, die anhand von 7 Mikrosatellitenloki bestimmt wurden. Diese Daten wurden genutzt, um populationsgenetische Beschreibungsmerkmale, Haplotypnetzwerke, Bayesian-Clusteranalysen und um entfernungsabhängige Isolationsmuster durchzuführen. Zudem benutzten wir eine Bayesian-Demographie-Untersuchung, um die Zeitdatierung herauszuarbeiten, in der die Lebensraumerweiterung stattfand.

Ergebnisse
Wir fanden bei südostspanischen Landschildkröten eine geringe genetische Variabilität und eine nur schwache mitochondriale Differenzierung im Vergleich zu jenen in Nordafrika. Allerdings gab es auch Haplotypen, die ausschließlich auf der iberischen Halbinsel vorhanden waren, und die Mikrosatellitenclusteranalyse zeigte, dass eine moderate Vermischung zwischen Tieren von beiden mediterranen Seiten (Nordafrika/Spanien) gegeben hat. Eine Küstenregion im Westen Algeriens und die zentral-südliche Region Südostspaniens sind die Regionen, von denen aus die Besiedlung am wahrscheinlichsten ist (Gründerpopulation). Letztendlich identifizierten wir auch ein zurückliegendes, so genanntes Flaschenhalsereignis, das sich vor etwa 20.000-30.000 Jahren ereignet hatte.

Hauptschlussfolgerungen
Maurische Landschildkröten erreichten Südostspanien sehr wahrscheinlich während des späten Pleistozäns, zu dem der Meeresspiegel am niedrigsten lag. Die Rolle, die der Mensch als Schildkrötenverbreiter innerhalb des Mediterranraums gespielt haben mag, bleibt weiterhin unklar. Unsere Ergebnisse befinden sich in Übereinstimmung mit einer jüngst beschriebenen transmediterranen Expansionswelle während dieser Zeitperiode und sie verdeutlichen die Wichtigkeit des Einsatzes präziser methodischer Analysen, ehe man Spezies als eingeführte Arten beschreibt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Die Arbeit zeigt klar auf, dass die südostspanischen maurischen Landschildkröten von Populationen abstammen, die heute noch im westlichen Algerien leben. Zudem scheint es Anhaltspunkte dafür zu geben, dass einige Individuen aus Populationen stammen, die schon sehr lange in Südspanien leben oder aber einen anderen bislang unklaren Ursprung haben, da sie distinkte spanische Haplotypen besitzen, die man in den möglichen nordafrikanischen Gebieten nicht oder nicht mehr gefunden hat. Der Nachweis eines vor etwa 20.000-30.000 Jahre zurückliegenden Flaschenhalsereignisses deutet auch an, dass die Schildkröten schon lange in Spanien lebten und jüngste geschichtliche menschliche Besiedlungsereignisse zur Einfuhr der Schildkröten nicht allein in Frage kommen. Allerdings sollten wir uns dabei wie ich finde nicht nur auf den Homo sapiens konzentrieren. Es mag auch schon davor Hominiden gegeben haben, die den Weg nach Norden gesucht und gefunden haben und die als Jäger auch lebende Nahrung mitnahmen. Schildkröten haben einen Vorteil, sie überleben sehr lange ohne Nahrung, deshalb wurden die Riesenschildkröten auch als Lebendproviant auf den Segelschiffen so sehr geschätzt, dass sie fast ausgerottet wurden. Wir sollten nicht den Fehler machen, unsere Ururvorfahren zu unterschätzen, denn lebende kleine Landschildkröten könnten sowohl dem Neandertaler als auch noch früheren Vorfahren als nicht verderblicher tragbarer Proviant gedient haben (siehe dazu Reichholf 2004).
Zudem auch hier wieder die Frage, was bezeichnen wir als invasive Arten? Sind Arten überhaupt invasiv? Sind Phytons in Florida oder Rotwangen-Schmuckschildkröten in Südeuropa und Asien invasiv? Oder sind gar
Emys orbicularis polnischer Herkunft in Spanien (siehe Velo-Anton et al. 2011) invasiv? Diese Frage ist doch klar mit Nein zu beantworten, denn ihre Invasivität beruht doch nur auf der Einfuhr durch den Menschen. Ohne unser Tun wäre ihre Invasivität gleich Null. Nun aber so zu tun, als seien die Tiere daran schuld, dass sie sich, wo sie es können, auch noch vermehren, wäre doch so, als würde man den farbigen Mitbürgern zum Beispiel in den USA oder England den absurden Vorwurf machen, dass ihre einst als Sklaven eingeführten Vorfahren auch noch die Frechheit besessen hätten sich fortzupflanzen. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen und uns klarmachen, dass, wenn wir auf der einen Seite globalen Handel und auch globale Exotenhaltung haben wollen und praktizieren auf der anderen Seite auch mit invasiven Arten rechnen müssen. Ja sogar einheimische Arten können in diesem Sinne invasiv werden und von uns veränderte, für sie nun bewohnbare Gebiete erobern und dadurch andere Arten verdrängen oder gar ausrotten. Was wir diesbezüglich brauchen, sind radikalere Entscheidungen als nach dem „ Entweder-Oder-Prinzip“. Heute kann doch zumindest eine ernst gemeinte Diskussion zu diesem Thema nur darauf abzielen, wie wir mit der längst eingetretenen Realität möglichst sinnvoll umgehen wollen. Und ich denke nur darüber nachzudenken, wie rotte ich invasive Arten am wirkungsvollsten aus, ist nicht die wirkliche Lösung, denn sie vergisst völlig den Wandel und die Nebenwirkungen, die manche solcher Maßnahmen hinterlassen.

Literatur

Reichholf, J. (2004): Das Rätsel der Menschwerdung: Die Entstehung des Menschen im Wechselspiel der Natur. – dtv Wissen.

Velo-Anton, G., M. Wink, N.Schneeweiss & U. Fritz (2011): Native or not? Tracing the origin of wild-caught and captive freshwater turtles in a threatened and widely distributed species (Emys orbicularis). – Conservation Genetics 12(2): 583-588 oder Abstract-Archiv.

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