Italienische Landschildkröte, Testudo hermanni hermanni, Fundort: Catalunya, Spain – © Victor Loehr

Ballouard - 2013 - 01

Ballouard, J.-M., S. Caron, T. Lafon, L. Servant, B. Devaux & X. Bonnet (2013): Fibrocement slabs as useful tools to monitor juvenile reptiles: a study in a tortoise species. – Amphibia-Reptilia 34(1): 1-10.

Gewellte Faserzementplatten als Werkzeug zur Überwachung juveniler Reptilien: Eine Studie über eine Landschildkrötenart.

DOI: 10.1163/15685381-00002859 ➚

Italienische Landschildkröte, Testudo hermanni hermanni, – © Victor Loehr
Italienische Landschildkröte,
Testudo hermanni hermanni,
Fundort: Catalunya, Spain
© Victor Loehr ➚

Die meisten Landschildkrötenarten sind weltweit gefährdet. Schildkröten gehören zu den langlebigen Organismen, die durch sich langsam entwickelnde demographische Parameter charakterisiert sind, wobei mathematische Modellabschätzungen zeigen, dass eine relativ hohe jährliche Überlebensrate (im Durchschnitt >0.6) notwendig ist, damit die Populationen weiter bestehen können. Leider ist aber unser Wissen über die wild lebenden Juvenilstadien sehr lückenhaft. Im freien Feld leben junge Schildkröten sehr versteckt und halten sich unter Sträuchern verborgen auf, und sie lassen sich auch mit den meisten Fangmethoden nicht einfangen. Das daraus resultierende Defizit an Informationen behindert die Erfassung von Schlüsselfaktoren, die für die Beurteilung ihrer Überlebensrate notwendig sind, wozu auch die Habitatnutzung und die Rekrutierungsrate gehören. Letzteres behindert die Abschätzungen zur Überlebensfähigkeit von Populationen sehr, was die Planung sinnvoller Erhaltungsmaßnahmen deutlich erschwert. Großflächige Erfassungsmaßnahmen für verschiedene Populationen der gefährdeten Art (Testudo hermanni hermanni) bestätigten zudem, dass Juvenile im Freiland nur sehr selten ausfindig zu machen sind. Im Jahr 2011 begannen wir, gewellte Faserzementplatten auszulegen, die als alternative Versteckmöglichkeiten für kleine Schildkröten in einem sehr dicht bewachsenen Untersuchungsgebiet angeboten wurden. Viele juvenile Schildkröten suchten diese auf, um sich unter den Wölbungen geschützt zu verbergen, und somit waren wir in der Lage, die Jungschildkröten zu fangen und auch wiederzufangen. Unsere Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass diese einfache Technik, die Auffindbarkeit von jungen Schildkröten signifikant verbessert, was uns in die Lage versetzt, die Überlebensparameter dieser anderenfalls unzugänglichen Altersstadien zu erfassen. Diese Platten liefern auch Schutz vor Beutegreifern (z.B. Hunde und Vögel), was zudem nahe legt, dass diese zusätzlichen Verstecke gerade die Überlebensrate der gefährdetsten, jüngsten Individuen begünstigt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Ich finde diese Arbeit dahingehend gut, dass sie eine wirklich neue Idee in die Landschildkrötenfreilandforschung einbringt. Sicher mögen einige sagen, dass dies eine unnatürliche habitatverändernde Maßnahme darstellt. Aber wie so oft im Leben gibt es fast kaum etwas, das ohne Nachteile zu realisieren ist. Hier stellt sich eher die Frage – Überwiegen die Vorteile? Was sind die bisher festgestellten Nachteile? Nach Rücksprache mit einem der Autoren war es wieder einmal der Faktor Mensch, der den größten Nachteil repräsentierte, denn nicht wenige Personen aus der Landbevölkerung sammelten die Platten ein, um sie zur Hüttendachabdeckung zu nutzen, und außerdem können natürlich auch Personen, die kleine Schildkröten für den Privatgebrauch suchen, diese dadurch leichter finden und sammeln. Die Autoren gingen daher an Schulen und baten die Kinder, die Platten zu bemalen, was dazu führte, dass die Kinder und vielleicht auch deren Eltern auf ihre Platte Vorort achten, und Leute, die sich ihr Gartenhaus mit bemalten Platten decken, einfacher auffallen.
Zudem könnten natürlich ein paar Schildkröten auch Schlangen zum Opfer fallen, die ja auch oft unter den Platten zu finden sind. Aber das konnten die Autoren nicht beobachten, vielleicht weil die Schlangen in den sich dort befindlichen Mäusenestern bessere Beute finden. Die Platten schützen vor Vögeln, Wildschweinen und anderen Beutegreifern nachgewiesenermaßen und sie klammern einige der bislang nie untersuchten Unwägbarkeiten der anderen Methoden aus. Denn bislang wurden juvenile und Schlüpflinge der verschiedensten Schildkrötenarten ja meist mit Radiotelemetriesendern bestückt und überwacht. Die Ergebnisse dieser Studien zeichnen bislang ein düsteres Bild, wobei die meisten mit dem Tod fast aller Schlüpflinge mit Sendern endeten (Epperson & Heise 2003, Buhlmann & Osborne 2011, Paterson et al. 2012). Nun das erwartet man fast schon ,wenn man darüber liest, weil jeder damit argumentiert, dass die Schlüpflingssterblichkeit bei diesen langlebigen Reptilien generell hoch ist. Aber so hoch sollte sie ja dann doch nicht sein, denn sonst würde die Berechnung einer notwendigen Überlebensrate von größer 0,6 fehlerhaft sein. Bislang hat sich aber niemand grundlegende methodische Fragen dazu gestellt, denn zum einen bedingt das Tragen eines Senders, dass die betreffenden Schlüpflinge ein zusätzliches Gewicht tragen müssen, was sie energetisch benachteiligt. Selbst wenn diese Last mit modernster Technik als gering einzustufen ist, so muss man doch zur Kenntnis nehmen, dass sich auch geringe Energiedefizite im Überlebenskampf negativ auswirken können. Zum zweiten sind solche Sender eventuell auch beim Aufsuchen optimaler Verstecke hinderlich und sorgen so dafür, dass die Tiere Schwierigkeiten haben, optimal schützende Verstecke und Überwinterungsquartiere zu finden. Ja und drittens sind Schlüpflinge im Gegensatz zu adulten Schildkröten noch unerfahren und müssen ihren Lebensraum noch optimal erkunden und kennenlernen, ehe sie auch andere Sinne wie Geruch und Sicht sowie den Tastsinn richtig zur Orientierung einsetzen können. Nun ist seit längerem bekannt, dass auch Schildkröten den Magnetsinn nutzen können (Lohmann et al. 2007), der ja selbst von Molchen nachgewiesenermaßen genutzt wird (siehe Kommentar zu Buhlmann & Osborne 2011). Es fehlen lediglich für viele der Arten entsprechende Daten. Wenn nun Schlüpflinge bestimmte Aspekte ihres noch unbekannten Lebensraums mit dem Magnetsinn erkunden würden, sollte man sich wirklich fragen, wie sich das Tragen eines zusätzlichen Magnetfelds (Sender) auf die Tiere und ihre Orientierungsfähigkeit auswirkt – oder ob Sender dazu beitragen, dass sie partiell orientierungslos den Unbillen der Natur nur unzureichend gewachsen sind? Alle diese Unwägbarkeiten, die bis heute nie jemand direkt bedacht zu haben scheint, oder auch nur in den entsprechenden Arbeiten diskutiert hat, schließt die hier angewandte Methode aus und scheint deshalb das Potential für eine bessere Überwachung der Schlüpflinge zu liefern.

Literatur

Buhlmann, K. A. & C. P. Osborn (2011): Use of an Artificial Nesting Mound by Wood Turtles (Glyptemys insculpta): A Tool for Turtle Conservation. – Northeastern Naturalist 18(3): 315-334 oder Abstract-Archiv.

Epperson, D. M & C. D. Heise (2003): Nesting and hatchling ecology of gopher tortoises (Gopherus polyphemus) in southern Mississippi. – Journal of Herpetology 37: 325-324 oder Abstract-Archiv.

Lohmann, K. J., C. M. Lohmann & N. F. Putman (2007): Magnetic maps in animals: nature's GPS. – Journal of Experimental Biology 210: 3697-3705 oder Abstract-Archiv.

Paterson, J. E., B. D. Steinberg & J. D. Litzgus (2012): Revealing a cryptic life-history stage: differences in habitat selection and survivorship between hatchlings of two turtle species at risk (Glyptemys insculpta and Emydoidea blandingii). – Wildlife Research 39(5): 408-418 oder Abstract-Archiv.

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