Falsche Spitzkopfschildkröte, Pseudemydura umbrina, – © Gerald Kuchling

Paget - 2023 - 01

Paget, S., A. C. Gleiss, G. Kuchling & N. J. Mitchell (2023): Activity of a freshwater turtle varies across a latitudinal gradient: Implications for the success of assisted colonisation. – Functional Ecology 37(7): 1897-1909.

Die Aktivität von Süßwasserschildkröten schwankt über die Breitengrade: Die damit verbundenen Auswirkungen für den Erfolg von unterstützten Besiedlungsversuchen.

DOI: 10.1111/1365-2435.14338 ➚

Falsche Spitzkopfschildkröte, Pseudemydura umbrina, – © Gerald Kuchling
Falsche Spitzkopfschildkröte,
Pseudemydura umbrina,
© Gerald Kuchling
  1. Der Versuch von unterstützten Umsiedlungsversuchen als Reaktion auf den Klimawandel kann nur Erfolg haben, wenn die Zielarten geeignet sind um in den neuen Habitaten zu überleben. Bei Ektothermen müssen die neuen Habitate Mikroklimate bieten die die essentiellen Verhaltensweisen wie jene zur Thermoregulation und zum Nahrungserwerb gewährleisten.
  2. Bei der Westlichen Sumpfschildkröte Pseudemydura umbrina handelt es sich um eine hochgradig bedrohte Art aus dem südwestlichen Australien und sie dient als eine globale Fallstudie für eine unterstützte aktuell laufende Neuansiedlung (Kolonialisierung). Erste Versuche bei denen juvenile P. umbrina in einem klimatisch feuchteren und kühleren Ausweichhabitat angesiedelt worden waren zeigte, dass die Individuen anscheinend für erhebliche Zeiten Körpertemperaturen ausgesetzt waren die deren Wachstum einschränken.
  3. Unter Verwendung von hochauflösenden Datenerfassungssystemen (Temperatur und Wassertiefe) testeten wir ob die Aktivität der Schildkröten in kühleren Lebensräumen thermisch begrenzt wird in dem wir 48 juvenile Schildkröten in drei saisonalen Sumpfgebieten auswilderten. Bei einer der Lokalitäten handelte es sich um das Zentrum ihres Habitats in dem sie natürlicherweise leben und bei den anderen beiden Lokalitäten handelte es sich um Sumpfgebiete die 380 km davon entfernt lagen und entweder ein wärmeres oder ein kühleres Mikroklima boten. Generalisierte-Additive-Mischmodelle wurden eingesetzt um damit das Verhalten und die Zeit die die Schildkröten bei optimalen Temperaturen verbrachten für ungefähr einen Monat nach dem Aussetzen zu untersuchen und zudem wurden die Zuwachsraten über die gesamte Feuchteperiode (4-5 Monate nach Auswilderung) hinweg gemessen und analysiert.
  4. Wir beobachteten, dass die Schildkröten die in dem polnächsten (südlichen) Feuchtgebiet angesiedelt worden waren signifikant verkürzte Aktivitätszeiten und Sonnenbadezeiten zeigten und einen signifikant geringeren Zuwachs realisierten im Vergleich zu den Jungtieren die weiter nördlich ausgesetzt worden waren. Wenn wir die Verhaltensdaten und die Zuwachsdaten zusammengefasst analysierten, zeigte sich, dass die Aktivitätszeiten der Schildkröten positiv mit jenen für die Zuwachsraten korrelierten.
  5. Wir schließen daraus, dass die geringeren Zuwachsraten bei den Schildkröten die in dem südlichen Feuchtgebiet lebten sehr wahrscheinlich darauf zurückzuführen sind, dass dort die Körpertemperaturen niedriger lagen was darauf zurückzuführen wäre, dass die Schildkröten dort nicht dazu befähigt waren eine optimale Thermoregulation im Wasser zu realisieren. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass für eine erfolgreiche unterstütze Kolonialisierung mit juvenilen P. umbrina Feuchtgebiete gewählt werden müssen die ausreichend warme Mikroklimate bieten um die Aktivität und Nahrungsaufnahme zu gewährleisten die notwendig sind um Wachstum zu generieren und um letztendlich die Geschlechtsreife zu erreichen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Sicher eine gute und notwendige Arbeit um herauszufinden wo man geeignete Ausweichlebensräume finden oder auch künstlich etablieren kann, um vom Klimawandel bedrohte Arten umzusiedeln. Allerdings versucht man ja häufig der globalen Erwärmung und einer damit einhergehenden Aridifizierung (Austrocknung) dadurch auszuweichen, dass man etwas kühlere Lebensräume sucht oder versucht Lebensräume zu finden für die Temperaturprognosen vorhersagen, dass sie für die nächsten 50 oder gar 100 Jahre solche optimalen Temperaturen bieten. Es bleibt aber fraglich, ob dies dann auch schon die derzeitig dort vorherrschenden Bedingungen bieten, wenn man davon ausgeht, dass sie erst mit zunehmender Erderwärmung die angestrebten optimalen Bedingungen noch gewährleisten würden? Wie die obige Arbeit zeigt tun sie das zumindest nicht so, dass Pseudemydura umbrina die Nachteile durch Thermoregulation und Sonnenbaden ausgleichen könnte. Dabei kann man sich aber eben nicht auf die reinen jährlichen Durchschnittstemperaturangaben verlassen, denn ein Jahresmittel kann auch günstig erscheinen, wenn z. B. das Temperaturprofil während der Trockenzeit zum großen Teil dazu beiträgt, ein scheinbar optimales Klima vorzutäuschen, während die Regenzeit in der solche stark saisonalen Schildkröten aktiv sind eben nur suboptimale Temperaturen den Schildkröten zur Aufrechterhaltung ihrer normalen physiologischen Lebensprozesse bieten. Auch können z. B. einheimische Emys orbicularis unter kühleren, nassen Sommern gepaart mit wärmeren Wintern unter solchen Problemen zu leiden beginnen. Dass das nicht immer gleich zum Aussterben einer Art führen muss, zeigt meines Erachtens sehr schön die Arbeit von Snover et al. (2015), der ja gerade zeigt, dass zwar suboptimalere Wassertemperaturen die Zuwachsraten schmälern, dass es aber auch von Seiten der Schildkröten Anpassungsprozesse gibt, die dafür sorgen, dass sie eben langsamer wachsen und mehr Zeit bis zur Geschlechtsreife brauchen. Wobei sie in der Studie von Snover et al. (2015) dabei einen entscheidenden Vorteil haben, denn die Lufttemperaturen entsprechend ihrem Ursprungshabitat und dürften nur über dem kühleren Wasser auch etwas niedriger liegen. Ein weiterer wesentlicher Punkt wäre dann aber auch, dass die Temperaturprofile während der Aktivitätssaison der Schildkröten nicht nur deren Zuwachs sichern, sondern auch die entsprechenden Nesttemperaturen für die Inkubation der Gelege bereitstellen müssen, um ein Langzeitüberleben zu garantieren. Letzteres wäre für Arten mit Temperaturabhängiger-Geschlechtsausprägung besonders wichtig, wobei dies für Australien etwas weniger bedeutsam zu sein scheint, da alle australischen Spezies eine genetisch vererbte Geschlechtsentwicklung zeigen. Siehe dazu auch Morris et al., (2023) sowie Bulte & Blouin-Demers (2010), Dubois et al., (2009).

Literatur

Bulte, G. & G. Blouin-Demers (2010): Estimating the energetic significance of basking behaviour in a temperate-zone turtle. – Ecoscience 17(4): 387-393 oder Abstract-Archiv.

Dubois, Y., G. Blouin-Demers, B. Shipley & D. Thomas (2009): Thermoregulation and habitat selection in wood turtles Glyptemys insculpta: chasing the sun slowly. – Journal of Animal Ecology 78(5): 1023-1032 oder Abstract-Archiv.

Morris, S. (2023): Consider physiology when translocating animals. – Natural climate change 13: 769-770; DOI: 10.1038/s41558-023-01747-9 ➚.

Snover, M. L., M. J. Adams, D. Ashton, J. B. Bettaso & H. H. Welsh Jr. (2015): Evidence of counter-gradient growth in western pond turtles (Actinemys marmorata) across thermal gradients. – Freshwater Biology 60(9): 1944-1963 oder Abstract-Archiv.

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