Nordaustralische Spitzkopfschildkröte, Emydura tanybaraga, – © Gerald Kuchling

Kehlmaier - 2024 - 01

Kehlmaier, C., U. Fritz & G. Kuchling (2024): Show me your true face: How many Emydura species occur in the Mitchell River Drainage, Kimberley, Australia?. – Salamandra 60(1): 51–59.

Zeige mir dein wahres Gesicht: Wie viele Emydura-Spezies kommen im Mitchell River Drainagegebiet in Kimberley, Australien vor?

DOI: None ➚

Rotbauch-Spitzkopfschildkröte, Emydura subglobosa, – © Hans-Jürgen Bidmon
Rotbauch-Spitzkopfschildkröte,
Emydura subglobosa,
© Hans-Jürgen Bidmon

Wir sequenzierten die mitochondrialen Genome (Mitogenome) und zehn nukleäre Loci von 20 Emydura-Proben aus den Einzugsgebieten des Carson, Mitchell und Ord River, um die taxonomische Identität von Schildkröten mit variabler Gesichtsfärbung aus dem Mitchell River zu untersuchen. Wir analysierten unsere Daten zusammen mit bereits veröffentlichten Sequenzen, einschließlich der Mitogenome des namensgebenden Typusmaterials. Unsere Ergebnisse belegen das Vorkommen einer einzigen Art mit variabler Färbung im Mitchellfluss, die zwei stark voneinander abweichende mitochondriale Linien beherbergen. Eine dieser Linien könnte aus einer alten Hybridisierung und mitochondrialen Introgression aus dem E. subglobosa/E. tanybaraga-Komplex stammen. Unsere Ergebnisse und veröffentlichte Belege deuten darauf hin, dass Emydura ein Artenkontinuum darstellt und dass die Evolutionsgeschichte der Gattung durch mehrere Hybridisierungs- und Introgressionsereignisse gekennzeichnet ist. Aus dem Vergleich mit früher veröffentlichten Mitogenomen von Typusmaterial und unseren aktuellen Ergebnissen schließen wir, dass E. victoriae (Gray, 1842) ein jüngeres Synonym von E. australis (Gray, 1841) ist.

Nordaustralische Spitzkopfschildkröte, Emydura tanybaraga, – © Gerald Kuchling
Nordaustralische Spitzkopfschildkröte,
Emydura tanybaraga,
© Gerald Kuchling

Kommentar von H.-J. Bidmon

Die Arbeit enthält farbige Fotos von Kopfportraits, die die Farbvariationen zeigen. Ebenso wird einleitend die etwas zerzauste Taxonomie der Vergangenheit für die nördlichen rotköpfigen Schildkröten dargelegt. Aber hier haben wir wohl einmal mehr ein gutes Beispiel dafür, dass zumindest bei diesem Introgressionsereignis es zumindest nach all der vergangenen Zeit zu keinen Überlebenseinbußen bis in unsere Zeit kam (siehe dazu auch Machado et al., 2023 und den dortigen Kommentar). Ja, es könnte sogar sein, dass die Potenz für diese Farbvariabilität auf diese Ereignisse zurückgehen könnte.
Allerdings dürften wohl auch hier die Umweltbedingungen in den jeweiligen Flussbecken eine Rolle spielen. Zumindest im Mitchell-Basin zeigt sich diese Farbvielfalt und vielleicht bräuchte man auch Daten über die in der Vergangenheit erfolgten Überflutungsereignisse, um solche Verwandtschafts- und Introgessionsszenarien besser zu verstehen. Denn in früheren Zeiten scheint Australien ja insgesamt wesentlich feuchter als heute gewesen zu sein (Georges et al.,2018).
Wie die Autoren auch zeigen gibt es solch eine vernetzte Verwandtschaft zwischen den Individuen die die benachbarten Flusssysteme des Northern Territories besiedeln. Sie legen aber auch dar, dass es aber trotz der beobachteten Farbvariabilität keine Beziehung zwischen Kopffärbung und mitochondrialer Evolutionslinienzugehörigkeit gibt und somit also keinen direkten Zusammenhang zwischen mitochondrialen Genotyp und Phänotyp. Ob es diesbezgl. eine Zuordnung zum nukleären Genotyp geben könnte wurde auch nicht klar gezeigt. Vielmehr geht man davon aus, dass es mehrere Introgressionen (eben vernetzt) gab. Insgesamt erinnert diese Situation an die jüngst beschriebenen Evolutionslinien für
Pseudemys gorzugi (Vandewege et al., 2024). Ja, letztendlich könnte diese Situation auch mit der von T. s. scripta und T.s. elegans verglichen werden, wo es sich trotz der Farbunterschiede auch um dieselbe Art handelt (Vamberger et al., 2020), obwohl sich wohl selbst über deren gesamtes Verbreitungsgebiet gesehen trotzdem Unterschiede bei der Reproduktionsleistung abzeichnen (siehe Iverson, 2023). Siehe dazu auch Hennessy (2020) sowie Boero (2010) und die dortigen Kommentare.
Wenn ich mich hier selbst nochmal an meinen Kommentar zu Boero (2010) zurück erinnere, zeigen uns ja gerade solche Studien die Vorteile der neuen molekularbiologischen Techniken. Ja, und diesbezgl. bleibt die Zeit auch nicht stehen, denn wie erst jüngst mit dem „Global Ocean Metageneproject“ (Liaolo et al., 2024) vorgestellten Daten zeigen, sollte es auch für solche Süßwasserflusssysteme möglich sein so genannte Gesamtgenome zu erstellen, die zeigen könnten wie viele Organismen einschließlich der Schildkröten dort vorkommen. Sicher werden jetzt viele denken, dass sei viel zu teuer, um Schildkrötenpopulationen nachzuweisen! Man sollte aber bedenken, dass solche Metagenomprojekte eine immense Fülle an Sequenzdaten liefern über Archaea, Bakterien, Pilze, Algen, Pflanzen und auch über alle Tierstämme. Diese Daten können eine Vielzahl an Sequenzen enthalten, die nur um ein Beispiel zu nennen für neue antiviral wirksame Substanzen und neue Antibiotika und Fungizide kodieren und daher für die Pharmaforschung eine hohe Relevanz haben. Deshalb scheint es wohl auch heute schon Konzerne zu geben, die sich finanziell an solchen Unternehmungen beteiligen würden. Es könnte sein, dass sich hier etwas entwickelt, das selbst Biodiversitätsforschung und Biodiversitätserhalt auf einem ganz anderen und global einsetzbaren Niveau ermöglicht und etablieren könnte. Man muss nur irgendwo den Anfang durch Zusammenarbeit und Teamgeist mit den richtigen Projekten starten.

Literatur

Boero, F. (2010): The Study of Species in the Era of Biodiversity: A Tale of Stupidity. – Diversity 2(1): 115-126 oder Abstract-Archiv.

Georges, A., B. Gruber, G. B. Pauly, D. White, M. Adams, M. J. Young, A. Kilian, X. Zhang, H. B. Shaffer & P. J. Unmack (2018): Genome-wide SNP markers breathe new life into phylogeography and species delimitation for the problematic short-necked turtles (Chelidae: Emydura) of eastern Australia. – Molecular Ecology 27(24): 5195-5213 oder Abstract-Archiv.

Hennessy, E. (2020): Saving Species: The Co-Evolution of Tortoise Taxonomy and Conservation in the Galápagos Islands. – Environmental History 25(2): 263-286 oder Abstract-Archiv.

Iverson, J. B. (2024): Reproductive Output in the Pond Slider, Trachemys scripta, in Arkansas, USA, with Range-Wide Comparisons. – Chelonian Conservation and Biology 22(2): 197-205 oder Abstract-Archiv.

Laiolo, E., I. Alam, M. Uludag, T. Jamil, S. Agusti, T. Gojobori, S. G. Acinas, J. M. Gasol & C. M. Duarte (2024): Metagenomic probing toward an atlas of the taxonomic and metabolic foundations of the global ocean genome. – Frontiers in Science 1: 1038696; DOI: 10.3389/fsci.2023.1038696 ➚.

Machado, C. R. D., M. Azambuja, C. Domit, G. Fraga da Fonseca, L. Glugoski, C. Borges Gazolla, R. Bonfim de Almeida, M. B. Pucci, T. Torres Pires, V. Nogaroto & M. R. Vicari (2023): Integrating morphological, molecular and cytogenetic data for F2 sea turtle hybrids diagnosis revealed balanced chromosomal sets. – Journal of Evolutionary Biology 36(11): 1595–1608 oder Abstract-Archiv.

Vamberger, M., F. Ihlow, M. Asztalos, J. E. Dawson, S. E. Jasinski, P. Praschag & U. Fritz (2020): So different, yet so alike: North American slider turtles (Trachemys scripta). – Vertebrate Zoology 70(1): 87-96 oder Abstract-Archiv.

Vandewege, M. W., J. Gutierrez, D. R. Davis, M. R. J. Forstner & I. Mali (2024): Patterns of genetic divergence in the Rio Grande cooter (Pseudemys gorzugi), a riverine turtle inhabiting an arid and anthropogenically modified system. – Journal of Heredity esae011 oder Abstract-Archiv.

Galerien