Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, – © Hans-Jürgen Bidmon

Stuckas - 2014 - 01

Stuckas, H., G. Velo-Anton, S. Fahd, M. Kalboussi, R. Rouag, M. Arculeo, F. Marrone, F. Sacco, M. Vamberger & U. Fritz (2014): Where are you from, stranger? The enigmatic biogeography of North African pond turtles (Emys orbicularis). – Organisms Diversity & Evolution 14(3): 295-306.

Woher bist du Fremder? Die enigmatische Biogeographie der nordafrikanischen Sumpfschildkröten (Emys orbicularis).

DOI: 10.1007/s13127-014-0168-4 ➚

Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, – © Hans-Jürgen-Bidmon
Europäische Sumpfschildkröte,
Emys orbicularis,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) ist innerhalb der afrikanischen Fauna ein nearktisches Element, wobei man davon ausging, dass sie Nordafrika von der spanischen Halbinsel aus besiedelt hat. Alle nordafrikanischen Populationen werden derzeit zu der Unterart E. o. occidentalis gestellt. Allerdings lieferte eine über das gesamte nordafrikanische Verbreitungsgebiet erfolgte Sammlung von Daten für die mitochondriale DNS und für Mikrosatelliten-DNS Beweise dafür, dass nur die Populationen in Marokko diesem Taxon angehören, wohingegen die östlichen algerischen und tunesischen Sumpfschildkröten eine noch unbeschriebene distinkte Unterart darstellen. Diese beiden Taxa sind mit E. o. galloitalica sehr nahe verwandt, die eine natürliche Verbreitung entlang der Mittelmeerküste im nördlichen Spanien dem südlichen Frankreich und den westlichen sowie südlichen Italien hat. Diese Gruppe ist eine Schwesterklade ,die einige mitochondriale Linien und Unterarten von E. orbicularis aus dem zentralen und östlichen Europa und Asien umfasst und eine Schwesterklade zu E. o. hellenica und E. trinacris darstellt. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass E. orbicularis in Nordafrika länger lebte als auf der iberischen Halbinsel und dass es nach einer initialen Invasion von Nordafrika durch Sumpfschildkröten mit derzeit noch unbekannter europäischer Herkunft zu einer Aufspaltung in Nordafrika kam. Diesen Ereignissen folgte dann eine Rückeinwanderung einer dieser afrikanischen Linien nach Europa. Die Differenzierung der Sumpfschildkröten in Nordafrika stellt eine Parallele zu einem generellen phylogeographischen Paradigma dar, wie es für Amphibien und Reptilien beschrieben wurde und welches stark divergierende Linien für die westliche und östliche Maghreb aufweist. Unter Anerkennung ihrer genetischen Gleichheit schlagen wir vor, die iberische Unterart E. o. fritzjuergenobsti synonym mit E. o. occidentalis s.s. zu betrachten. Die stark gefährdeten marokkanischen Populationen von E. o. occidentalis stellen aber zwei Managementeinheiten dar, die sich in ihren Haplotypen und Mikrosatellitenmarkern unterscheiden. Der Erhaltungsstatus der östlichen algerischen Sumpfschildkröten bleibt allerdings weiterhin unklar ,während die tunesischen Populationen als gefährdet angesehen werden. Unter der Erkenntnis, dass die algerischen und tunesischen Sumpfschildkröten ein endemisches Taxon darstellen, plädieren wir für eine Überwachung innerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets, um Grundlagendaten für Erhaltungsmaßnahmen zu sammeln.

Mittelländische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis galloitalica, – © Victor Loehr
Mittelländische Sumpfschildkröte,
Emys orbicularis galloitalica,
Fundort: Calabria, Italy
© Victor Loehr ➚

Kommentar von H.-J. Bidmon

Im Vergleich zu der kürzlich diskutierten Arbeit von Garrick et al. (2014) zeigt auch diese Arbeit für die Europäische Sumpfschildkröte eine Invasions- und ja sogar Re-Invasionsgeschichte und Artaufspaltung. Wir sehen also, dass es sich hier um anscheinend auf alle Kontinente zutreffende universelle Muster handelt, die sehr wahrscheinlich mit den in der Vergangenheit schon mehrmals erfolgten Klimaveränderungen wie den Warm- und Eiszeiten mit bedingt werden (siehe auch Fritz et al. 2004, 2009: Sommer et al. 2009).Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass Menschen nun mal Mitglieder oder Mitakteure in den „Ökosystemen“ der Welt sind (siehe Helmus et al. 2014) und dass wir deshalb selbst in Europa langsam beginnen sollten, Tier- und Pflanzeninvasionen realistischer zu sehen, denn sie sind wahrscheinlich heute genauso wenig als Boten eines Artensterbens anzusehen, wie sie es in der Vergangenheit waren. Ich denke, da müssen selbst wir erkennen, dass unser eigenes Handeln mehr mit der „Extinktionsrate“ zu hat, als die paar Arten, die wir heute so landläufig zu den invasiven Spezies zählen.

Literatur

Fritz, U., D. Guicking, P. Lenk, U. Joger & M. Wink (2004): When turtle distribution tells European history: mtDNA haplotypes of Emys orbicularis reflect in Germany former division by the Iron Curtain. – Biologia 59(14): 19-25 oder Abstract-Archiv.

Fritz, U., D. Ayaz, A. K. Hundsdoerfer, T. Kotenko, D. Guicking, M. Wink, C. V. Tok, K. Cicek & J. Buschbom (2009): Mitochondrial diversity of European pond turtles (Emys orbicularis) in Anatolia and the Ponto-Caspian Region: Multiple old refuges, hotspot of extant diversification and critically endangered endemics. – Organisms Diversity & Evolution 9(2): 100-114 oder Abstract-Archiv.

Garrick, R. C., E. Benavides, M. A. Russello, C. Hyseni, D. L. Edwards, J. P. Gibbs, W. Tapia, C. Ciofi & A. Caccone (2014): Lineage fusion in Galápagos giant tortoises. – Molecular Ecology 23(21): 5276-5290 oder Abstract-Archiv.

Helmus, M.R., D. L. Mahler & J. B. Losos (2014): Island biogeography of the Anthropocene. – Nature 513: 543-546.

Sommer, R. S., C. Lindqvist, A. Persson, H. Bringsoe, A. G. J. Rhodin, N. Schneeweiss, P. Široký, L. Bachmann & U. Fritz (2009): Unexpected early extinction of the European pond turtle (Emys orbicularis) in Sweden and climatic impact on its Holocene range. – Molecular Ecology 18(6): 1252-1262 oder Abstract-Archiv.

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