Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, ein Albino-Schlüpfling – © Justin R. Perrault

Russell - 2009 - 01

Russell, D. F. & G. H. Balazs (2009): Dietary Shifts by Green Turtles (Chelonia mydas) in the Kāne'ohe Bay Region of the Hawaiian Islands: A 28-Year Study. – Pacific Science 63(2): 181-192.

Nahrungsverschiebungen bei Suppenschildkröten (Chelonia mydas) in der Kāne'ohe Bay Region der hawaiischen Inseln: eine Studie über 28-Jahre.

DOI: 10.2984/049.063.0202 ➚

Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, – © Hans-Jürgen Bidmon
Grüne Meeresschildkröte,
Chelonia mydas,
© Hans-Jürgen Bidmon

Die Suppenschildkröte hat ihre Ernährungsweise dahingehend modifiziert, dass sie zunehmend die wachsende Anzahl von eingewanderter Algen im Gebiet der Kane'ohe Bay Area von O'ahu innerhalb der hawaiischen Inseln nutzt. Dieser Ernährungswechsel korreliert exakt mit der Zunahme von sieben Algenarten, die als nicht einheimische Arten zwischen 1977 und 2005 eingewandert sind. Insgesamt verzehrten die Schildkröten 130 Arten an Meeresvegetation, wobei die drei häufigsten Arten zu den nicht einheimischen Spezies Acanthophora spicifera, Hypnea musciformis und Gracilaria salicornia zählen. Diese drei sehr häufigen und äußerst nährstoffreichen Futterarten stellen zusätzlich zu den ursprünglichen einheimischen Arten der Kane'ohe Bay derzeit einen wichtigen Anteil der Schildkrötennahrung. Chelonia mydas veränderte also ihr Ernährungsverhalten in nur 10 Jahren dahingehend, dass sie diese neu in die Region eingewanderten Arten nutzte. Ebenso lernten die Schildkröten auch, vier weitere eingewanderte Arten zu nutzen, die aber keine so hohe Abundanz (Häufigkeit) erreichen. Zu diesen zählen (Eucheuma denticulatum, Gracilaria tikvahiae, Kappaphycus striatum und Kappaphycus alvarezii), und es konnte beobachtet werden, dass die Schildkröten wesentlich länger brauchten (20-30 Jahre), um diese mit in ihr Nahrungsspektrum einzuschließen. Während dieser 28-jährigen Beobachtungsperiode nahm die Anzahl von C. mydas innerhalb der hawaiischen Inseln stetig zu.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Obwohl für die Leser der WiF Berichte über Meeresschildkröten nicht unbedingt die höchste Priorität haben dürften, so möchte ich doch die Gelegenheit nutzen, diesen Wissenschaftlern für ihre Langzeitbeobachtungen zu danken und sie somit auch den deutschen Lesern näher zu bringen. Solche Arbeiten sind eigentlich die Highlights im Vergleich zu den oft publizierten Schnellschüssen auf dem ökologischen Sektor, denn sie sind es, die wirklich auf langfristige Veränderungen im Nahrungsangebot und der Nahrungsnutzung aufmerksam machen. Wie viele würden voreingenommen sagen, ja jetzt auch schon unnatürliche Nahrung bei herbivoren Meeresschildkröten. Nur wie die Arbeit zeigt, nutzen die Tiere diese neue Energiereiche Nahrung selektiv und zeigen dabei auch noch eine deutliche Bestandserholung. Dass die Suppenschildkröten plötzlich oder während der letzten 28 Jahre höckerig geworden wären, davon berichten die Autoren nicht. Eigentlich hat sich durch die neuen invasiven Algenarten für die Nahrungskette der Suppenschildkröten erst einmal ein Vorteil ergeben, der ihnen einen Populationszuwachs ermöglichte, auf den man an anderen Orten trotz der Unterschutzstellung noch wartet. Außerdem sollte man auch mal das Gedankenspiel machen und sich vorstellen, es hätte diese Langzeitstudie nie gegeben, sondern es wäre erst jetzt ganz aktuell eine Untersuchung durchgeführt worden, dann wüsste man also gar nicht, dass hier invasive fremde Arten eingewandert sind und würde sehr wahrscheinlich alle vorhandenen und gefressenen Algenarten als natürliche Nahrungsbestandteile betrachten. Wir sehen an diesem Beispiel, wie selektiv und fehlerhaft wir uns oft ein eigenes nur auf kurzfristigen Beobachtungen (Urlaubserinnerungen) gestütztes, angebliches Bild über die Lebensräume und Umstände machen (siehe auch Saenz-Arroyo et al. (2006)). Lassen Sie mich für die an Landschildkröten interessierten, mal ein paar solcher Gedankenspiele darlegen. Auf eines machte mich vor Jahren schon Andreas Nöllert aufmerksam, als er mir Literatur nannte, die beschreibt, wie Sri Lanka vor 800 Jahren aussah und dass es auf Sri Lanka seit fast 800 Jahren nur durch die Landwirtschaft veränderte Sekundärhabitate gibt. Also lässt sich daraus schon ableiten, dass auch die dortigen wild lebenden Sternschildkröten Sekundärlebensräume besiedeln, die ihnen längst nicht mehr die Bedingungen bieten, an die sie vielleicht einmal optimal angepasst waren. Sollte es einen da wirklich wundern, dass sie auch in der Natur Höcker aufweisen? Denn ob sie dort noch unter optimalen Lebensbedingungen leben oder nur überdauern konnten, weil sie sich an suboptimale Lebensräume mehr oder weniger gut anpassen konnten, können wir nur vermuten. Auch die ewige Diskussion, dass Europäische Landschildkröten karge nahrungsarme Biotope besiedeln, zumindest dort, wo sie der heutige Tourist noch beobachten kann, sollte zu denken geben. Denn zum einen beschränken sich die meisten Beobachtungen der Touristen auf die heißen Sommermonate und nicht auf das Frühjahr, in dem die Schildkröten ihre Hauptaktivitätsphasen haben. Zum anderen muss man leider wohl auch zugeben, dass die guten Landschildkrötenbiotope mit fruchtbaren, feuchtigkeitspeichernden Böden heute sowohl in Griechenland als auch in Italien und Spanien landwirtschaftliche Nutzflächen einer hochtechnisierten Agrarindustrie sind, die Bodenbearbeitungstechniken einsetzt, die wohl kaum mit dem Überleben von Schildkrötenpopulationen einhergehen können. Beobachten wir also seit Jahren Schildkrötenpopulationen, die gerade noch die eben von den Tieren tolerierbaren Reliktbiotope darstellen und gar nicht mehr ihren eigentlichen Lebensraum? Selbst Kaddour et al. (2006) beschreiben Maurische Landschildkröten in einem stark überweideten Gebiet. Es ist zwar schön, dass die uns so lieb gewonnenen Landschildkröten in kargen Lebensräumen überdauern können, aber sollten wir nicht lieber die alten archäologischen Funde nutzen, um aufzuzeigen, wo sie früher auch vorkamen und wie dort die Lebensbedingungen für die Tiere waren? Jeder Jäger weiß, dass sich die Qualität von Jagdrevieren unterscheidet und dass es nur in jenen Jagdrevieren kapitale Kronenhirsche gibt, wo auch eine bestimmte optimale Ernährungs- und Mineralsituation für die Tiere gegeben ist, würde das auf unsere Schildkröten und viele andere Arten nicht auch zutreffen? Wenn wir das mal auf das oben angeführte Abstrakt beziehen, ließe sich da nicht sogar der Schluss ziehen, dass, wenn sich unsere bedrohten Schildkrötenbestände wieder erholen sollen, wir dann auch wieder ein Stück Optimalbiotop zurückgeben müssten? Selbst dann, wenn man landwirtschaftliche Flächen opfern müsste.

Literatur

Kaddour, K. B., T. Slimani, E. H. El Mouden, F. Lagarde & X. Bonnet (2006): Population structure, population density and individual catchability of Testudo graeca in the central jbilets (Morocco). – Vie et Milleu – Life and Environment 56(1): 49-54 oder Abstract-Archiv.

Saenz-Arroyo, A., C. M. Roberts, J. Torre, M. Carino-Olvera & J. P. Hawkins (2006): The value of evidence about past abundance: marine fauna of the Gulf of California through the eyes of 16th to 19th century travellers. – Fish and Fisheries 7(2): 128-146 oder Abstract-Archiv.

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