Schmuck-Dosenschildkröte, Terrapene ornata, – © Devin Edmonds

Martin - 2020 - 01

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Martin, B. T., M. R. Douglas, T. K. Chafin, J. S. Placyk Jr., R. D. Birkhead, C. A. Phillips & M. E. Douglas (2020): Contrasting signatures of introgression in North American box turtle (Terrapene spp.) contact zones. – Molecular Ecology 29(21): 4186-4202.

Widersprüchliche Anzeichen für die Introgression bei nordamerikanischen Dosenschildkröten (Terrapene spp.) Kontaktzonen.

DOI: 10.1111/mec.15622 ➚

Schmuck-Dosenschildkröte, Terrapene ornata, – © Devin Edmonds
Schmuck-Dosenschildkröte,
Terrapene ornata,
© Devin Edmonds

Hybridisierung findet meistens differentiell über das Genom verteilt statt und zwar in einer Weise die eine ausgleichende Balance zwischen Selektion und Migration einstellt. Mit den vergleichsweise sehr hohen Auflösungen der modernen, zeitnahen Sequenzierungstechniken lassen sich Selektion und Migrationsvorgänge sehr effektiv und quantitativ nachverfolgen, sodass heutige Wissenschaftler die genetischen Elemente (Genombereiche) die von Introgressionsereignissen beeinflusst sind untersuchen können. Zudem ist es heute möglich genetische Muster mit ökologisch relevanten Phänotypen in Beziehung zu setzen, was es ermöglicht diesen sogenannte Referenzgenome zuzuordnen. Wir machten das für die amerikanischen Dosenschildkröten (Terrapene) indem wir entschlüsselten wie die Selektion sich auf die Hybridisierungszonen an den Grenzen der Vorkommensgebiete der einzelnen Spezies auswirken. Dabei identifizierten wir insbesondere genetische Regionen die einer potentiellen Selektion unterliegen die möglicherweise mit einer thermischen Adaptation in Beziehung stehen. Solche Gene beeinflussen möglicherweise physiologische Reaktionswege die mit der Temperatur-abhängigen Geschlechtsausprägung, den Funktionen des Immunsystems sowie der Hypoxietoleranz in Beziehung stehen. Wir führten eine Gegenüberstellung dieser Muster für die inter- und intraspezifischen Hybridisierungszonen durch die temporäre und biogeographische Unterschiede aufwiesen. Wir zeigen, dass die Hybridisierung bei Terrapene weitverbreitet auftritt, aber wir konnten auch genomische Anpassungsmuster aufzeigen, die mit den Lebensraumgrenzen der Spezies korreliert waren und zwar an Genorten die potentiell in einem Bezug zur thermischen Anpassung standen. Diese Genorte zeigen Signaturen für eine gerichtete (in eine bestimmte Richtung verlaufende) Introgression innerhalb der intraspezifischen Grenzregion, obwohl es auch zu einem gesamtgenomweiten selektiven Trend zur Vermeidung von Introgressionsformen kommt. Im Gegensatz dazu zeigten diese einer bestimmten Eigenschaft zugeordneten Genloci („outlier loci“) bei den interspezifischen Vergleichen, dass es Anzeichen für eine Selektion hin zur Hybridisierungsvermeidung gibt. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass Adaptationen die mit den Lebensraumgrenzen von Arten zusammenfallen bei Terrapene auch mit einer Überlappung von klimatischen Grenzen einhergehen was die Anfälligkeit dieser ökothermen, terrestrischen Lebensformen für anthropogene Beeinträchtigungen nahelegt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hier haben wir einmal mit eine der bislang ersten Untersuchungen dazu welche Faktoren die Hybridisierung (Introgression) in den sogenannten Hybridisierungszonen steuern. Gemeint ist damit die Zone in der sich die Lebensräume zweier Arten oder Unterarten überlappen. Dabei fällt auf, dass es zu gerichteten, von den Umweltfaktoren mitbeeinflussten, Introgression bei Schildkröten kommt (Vergleiche dazu Fitzpatrick & Shaffer, 2004; Chen & Pfennig, 2020). Interessant dabei ist auch, dass die Gene die davon bei Schildkröten betroffen sind und bei denen die Signaturen dieser Introgressionen nachweisbar bleiben jene sind die etwas mit der Temperatursensitivität also mit der Optimaltemperatur der jeweiligen Art zu tun haben, ja und zudem sind auch die Gene die für die Immunabwehr sowie für die Hypoxietoleranz kodieren davon betroffen. Für letztere kann man zwar nie ganz ausschließen, dass sie bei wechselwarmen Tieren auch von den Genen für die Temperaturanpassung (Adaptation) mit beeinflusst werden, aber auf einer generellen Ebene sehen wir hier fast die gleichen betroffenen Genommuster wie bei der Evolution des Homo sapiens, denn auch dort haben sich die Gensequenzen der Neandertaler in jenen Genomanteilen die für die Immunfunktionen kodieren am deutlichsten erhalten ebenso wie sich die Genomsequenzen der Denisovamenschen bei jenen Populationen die die sauerstoffärmeren (Hypoxie) Regionen des Himalayagebirges besiedeln in ausgeprägter Form erhalten im Vergleich zu den Tieflandpopulationen (siehe auch Price, 2020; Bidmon, 2017; Huerta-Sánchez et al. 2014, Mendez et al., 2013; Loire et al., 2013; Nash, 2013). Insofern sollte man wieder einmal darüber nachdenken welchen tieferen Sinn solche Ereignisse für das Überleben unter bestimmten Umweltbedingungen im Generellen haben. Eigentlich immer wieder erstaunlich wie sich diese evolutiven Mechanismen gleichen! Im Grunde genommen sollten uns solche Erkenntnisse durchaus daran erinnern, dass wir die statische Betrachtung von Artentwicklung noch weitaus weitblickender revidieren müssen als wir es ohnehin schon spätestens seit der Jahrtausendwende mussten. Denn davon ist auch das was wir heute noch unter dem Begriff Arterhaltung verstehen langfristig in evolutiven Zeitverlauf betroffen. Nicht zuletzt sollten wir uns anhand dieser Erkenntnisse bei Schildkröten (siehe Bidmon 2017 und die dortige Literatur) und anderen (z. B. Sagonas et al., 2019; Oziolor et al., 2019) Lebewesen darüber klar werden was solche kleinen fast immer noch zwischen den Zeilen geäußerten Feststellungen wie im obigen Abstract …, dass die Hybridisierung bei Terrapene weitverbreitet auftritt … letztendlich bedeuten. Sie sind wohl das Resultat eines durch die Umwelt gesteuerten Adaptionsprozesses der solange wir die Arten nicht ausrotten weitergehen wird und durch die sich mit dem Klimawandel immer schneller verändernden Umweltbedingungen auch zunehmend herausgefordert wird. Das dürfte letztendlich nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch uns selbst auch noch zukünftig betreffen.

Literatur

Bidmon, H.-J. (2017): Sind phylogenetische Stammbäume nur ein Traum? – Schildkröten im Fokus 14(1): 14-27 ➚.

Chen, C. & K. S. Pfennig (2020): Female toads engaging in adaptive hybridization prefer high-quality heterospecifics as mates. – Science 367(6484): 1377-1379 oder Abstract-Archiv.

Clyde, D. (2018): The girl with Neanderthal and Denisovan parents. – Nature Reviews Genetics 19(11): 668-669.

Fitzpatrick, B. M. & H. B. Shaffer (2004): Environment-dependent admixture dynamics in a tiger salamander hybrid zone. – Evolution 58(6): 1282-1293; DOI: 10.1111/j.0014-3820.2004.tb01707.x ➚.

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Nash, C. (2013): Genome geographies: Mapping national ancestry and diversity in human population genetics. – Transactions of the Institute of British Geographers 38(2): 193-206.

Price, M. (2020): Africans, too, carry Neanderthal genetic legacy. – Science 367(6477): 497.

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