Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, sitzt sonnend am Ufer – © Hans-Jürgen Bidmon

Koshiba-Takeuchi - 2009 - 01

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Koshiba-Takeuchi, K, A. D. Mori, B. L. Kaynak, J. Cebra-Thomas, T. Sukonnik, R. O. Georges, S. Latham, L. Beck, R. M. Henkelman, B. L. Black, E. N. Olson, J. Wade, J. K. Takeuchi, M. Nemer, S. F. Gilbert & B. G. Bruneau (2009): Reptilian heart development and the molecular basis of cardiac chamber evolution. – Nature 461(7260): 95-98.

Die Entwicklung des Reptilienherzens und die Grundlagen zur Evolution der Herzkammern

DOI: 10.1038/nature08324 ➚

Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, – © Hans-Jürgen Bidmon
Rotwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta elegans,
© Hans-Jürgen Bidmon

Das Auftreten terrestrischer Lebensweisen erforderte ein wirksameres Kreislaufsystem. Diese notwendige Voraussetzung sorgte für die evolutive Ausdifferenzierung von vollständig durch ein Septum getrennten rechten und linken Herzkammern bei Vögeln, Säugern und Krokodilen. Das ermöglichte, einen Lungenkreislauf und einen Systemischen-(Körper)-kreislauf auszubilden, was wiederum eine Grundvoraussetzung für die Evolution der Endothermie (Homeothermie) war. Allerdings ist bis heute die Evolution des Amniotenherzens kaum geklärt. Reptilienherzen waren immer schon der Grund für Diskussionen in Bezug auf die Evolution von septierten Herzen: Stellen sie also nur eine einzige Herzkammer dar oder bestehen sie aus zwei getrennten, aber unvollständig septierten Kammern? Dazu untersuchten wir die Herzentwicklung bei der Rotwangen-Schmuckschildkröte Trachemys scripta elegans (einer Schildkröte) und bei Anolis carolinensis (einer Echse), wobei wir uns auf die Genexpressionsmuster in den sich bildenden Herzkammern konzentrierten. Beide Reptilien bilden initial eine Herzkammer, in deren Wand homogen (gleichverteilt) das Gen für den T-Box Transkriptionsfaktor Tbx5 exprimiert wird. Im Gegensatz dazu wird bei Vögeln und Säugetieren Tbx5 nur in den Vorläuferzellen, die die linke Herzkammer bilden, exprimiert. Erst in den späteren Entwicklungsstadien wird die Tbx5-Expression bei der Schildkröte (nicht aber bei Anolis) graduell in die linke Kammerseite verschoben, wobei ein Links-Rechts-Expressionsgradient entsteht. Diese Befunde legen nahe, dass die Tbx5-Expression während der Evolution so verändert wurde, dass sie die Ausbildung von Herzkammern ermöglichte. Diese Hypothese wird auch dadurch gestützt, dass, wenn wir das Tbx5-Gen bei der Maus ausschalten, es nur zur Ausbildung einer Herzkammer kommt, die keinerlei Anzeichen für einen Unterteilung zeigt, was nahe legt, dass das Tbx5 Gen essentiell ist, um ein Septum (Trennwand zwischen den Herzkammern) auszubilden. Ebenso führt die Fehlexpression von Tbx5 im sich entwickelnden Säugetierherz zu der Ausbildung unvollständig getrennter Herzkammern, wie wir sie von etlichen Reptilien kennen. Somit ist die Septierung der Herzkammer von einem frühen sehr genau positionierten Tbx5-Expressionsgradienten abhängig. Unsere Daten liefern Erkenntnisse über einen molekularen Mechanismus, der für die Evolution der Herzkammern von Amnioten wichtig ist, und sie zeigen, dass Veränderungen in der Expression von Genen zur Entwicklungsregulation einen Schlüsselmechanismus für die Wirbeltierevolution darstellen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit liefert wirklich grundlegende Erkenntnisse zum Verständnis der Evolution. Allerdings frage ich mich dabei immer, wie man bei diesen Erkenntnissen die Evolutionsrichtung erkennen will. Denn heute gehen wir meist immer noch davon aus, dass Schildkröten phylogenetisch älter sind als Echsen. Allerdings zeigen diese Daten, dass sie – wie die Krokodile – ein modernes säugerähnlicheres Herz haben, als die untersuchte Echse. Ein ähnliches Beispiel gibt es bezüglich der Parietalaugen und der Epiphyse, wo man zum Beispiel bei der Echse Zootoga vivipara noch alle Teile vorfindet. Bei angeblich moderneren Säugetieren einschließlich des Menschen findet man nur noch eine tiefer im Hirn liegende Epiphyse. Das Parietalauge fehlt ganz, wie übrigens auch bei den Schildkröten. Somit würde man als Evolutionstrend die Richtung so deuten, dass, je moderner und Säugetier-ähnlicher ein Wirbeltier ist, desto kleiner und tiefer sollte die Epiphyse sein. Wenn man aber den Evolutionstrend so deuten würde, müssten Krokodile die modernsten Wirbeltiere darstellen, denn sie besitzen weder ein Parietalauge noch eine Epiphyse und wären bei dieser Trendrichtung schon weiter als der Mensch. Diese Beispiele ließen sich auf viele andere Parameter anwenden. Deshalb zweifele ich nicht an der Evolution, aber wir sollten in ihr vielmehr eine Lebensraumanpassung und ökologische Einnischung sehen, als global gültige Entwicklungsrichtungen, wie wir das heute oft noch zu tun pflegen.

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