Freedberg - 2004 - 01

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Freedberg, S., A. L. Stumpf, M. A. Ewert & C. E. Nelson (2004): Developmental environment has long-lasting effects on behavioural performance in two turtles with environmental sex determination. – Evolutionary Ecology Research 6(5): 739-747.

Die Umweltbedingungen während der Entwicklung (Ontogenese) haben lang anhaltende Auswirkungen auf das Verhalten zweier Wasserschildkröten mit umweltgesteuerter Geschlechtsbestimmung

DOI: None

Charnov & Bull (1977) sagten vorher, dass die umweltgesteuerte Geschlechtsbestimmung (ESD) sich nur dann evolutiv durchsetzen kann, wenn während der ontogenetischen Entwicklung die Umwelt die Fitness von Männchen und Weibchen in unterschiedlicher Weise beeinflusst. Da die Entwicklungstemperatur dafür sorgt, dass sich Schlüpflinge von Reptilien mit temperaturabhängiger Geschlechtsbestimmung anders verhalten, könnte das der Grund dafür sein, dass sich ESD nur dann durchsetzen kann, wenn die Änderungen von langer Dauer sind. Wir inkubierten daher Eier von Graptemys ouachitensis, einer emydiden Schildkröte mit ESD, bei Temperaturen, die, wie aus früheren Studien bekannt, deutlichen Einfluss auf die „Righting Response“ (Umdrehreaktion, aus Rückenlage) der Tiere haben. Wir untersuchten die Umdrehreaktion von Schlüpflingen und älteren Schildkröten, die unter Laborbedingungen für 1 Jahr gehalten wurden. Ebenso untersuchten wir den Einfluss verschiedener Temperaturen auf die Umkehrreaktion und das Sozialverhalten. Schildkröten, die bei 30 °C erbrütet wurden, zeigten eine schnellere Umdrehreaktion als solche, die bei 25 °C inkubiert worden waren. Dies galt für Schlüpflinge wie auch für einjährige Jungtiere, zudem waren dieser Befund und der Test sehr robust und konstant, d. h., sie waren abhängig von der Inkubationstemperatur und wurden so gut wie gar nicht von den verschieden Haltungsbedingungen, wie Haltungstemperaturen, Testtemperatur, usw. beeinflusst. Wir untersuchten auch eine andere Emydidae, Trachemys scripta elegans mit ESD und fanden die gleichen Ergebnisse in Bezug auf die Umdrehreaktion in Abhängigkeit von der Inkubationstemperatur. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Inkubationstemperatur sehr deutliche und langfristige Auswirkungen auf die Fitness und bestimmte Leistungsparameter bei Reptilien mit ESD haben kann, so dass sich daraus die Bedingungen und Ursachen für die Evolution für ESD ergeben können.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Studie und die vorausgegangenen Hypothesen verwundern schon etwas, denn die Ausprägung des unterschiedlichen Geschlechts ist ja schon allein für sich gesehen eine langanhaltende, wenn nicht lebenslange unterschiedliche Ausprägung, die nicht nur eine unterschiedliche körperliche Leistungsfähigkeit mit sich bringt, sondern sowohl geschlechtsspezifische Verhaltensweisen als auch physiologische Unterschiede mit einbeziehen. Eben all die Parameter, die häufig unter dem Stichwort Geschlechtsdimorphismus zusammengefasst werden. Hier wäre es meines Erachtens besser gewesen, die Fragen zu beantworten, ob eine höhere Inkubationstemperatur innerhalb der Tiere gleichen Geschlechts zu einer Fitnesssteigerung führt. Denn es könnte ja durchaus so sein, dass eine verbesserte Umdrehreaktion ein geschlechtsspezifisches, bzw. geschlechtsabhängiges Merkmal ist. Woraus sich die zweite Frage ableiten würde: Welcher evolutive Vorteil ergibt sich für die Spezies dadurch, dass weibliche Jungtiere eine verbesserte Umdrehreaktion zeigen. Erhöhte Überlebenschance von Weibchen = höhere Gesamtreproduktionsrate? Oder stellt die gesteigerte Umdrehreaktion für Weibchen einen wesentlichen Selektionsvorteil dar, da sie ja später jährlich wiederkehrende weite Wanderungen an Land unternehmen, um die Eiablageplätze zu erreichen, wobei natürlich ein gesteigertes Risiko des Umgeworfenwerdens bestehen könnte? Oder spielt die Umdrehreaktion für die innerartliche Selektion der Männchen eine größere oder eine untergeordnete Rolle? Trotz all dieser Fragen ist, meine ich, keine wirklich so grundlegend, dass man damit den evolutiven Vorteil von ESD erklären könnte, denn die Ausprägung und Selektion bestimmter, vorteilhafter, geschlechtsspezifischer Eigenschaften ist sowohl bei genetischer wie temperaturabhängiger Geschlechtsbestimmung gegeben, so dass es nahe liegt, dass es auch andere Selektionskriterien geben muss, die darüber entscheiden, welche der beiden Formen im jeweiligen Umweltszenario von Vorteil ist oder ob sie sogar nebeneinander existieren können.