Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, wird mit einem Apfel aus der Unterkunft gelockt – © Hans-Jürgen Bidmon

Bush - 2022 - 01

Bush, M. B., S. Conrad, A. Restrepo, D. M. Thompson, M. Lofverstrom & J. L. Conroy (2022): Human-induced ecological cascades: Extinction, restoration, and rewilding in the Galápagos highlands. – Proceedings of the National Academy of Sciences 119(24): e2203752119.

Von Menschen induzierte ökologische Kaskaden: Ausrottung, Restaurierung und Wiederbesiedlung im Galápagoshochland.

DOI: 10.1073/pnas.2203752119 ➚

Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, – © Hans-Jürgen Bidmon
Galápagos-Riesenschildkröte,
Chelonoidis nigra, wird mit einem Apfel
aus der Unterkunft gelockt
© Hans-Jürgen Bidmon

Ozeanische Inseln beherbergen einzigartige Biotope, aber häufig fehlt ihnen die ökologische Vielfalt sodass die Entfernung einer einzigen Spezies große Auswirkungen für das Ökosystem zeitigen kann. Die größeren Inseln des Galápagosarchipels hatten früher eine oder zwei Arten von Riesenschildkröten die als dominante Herbivore auftraten. Unter Anwendung paleoarcheologischer Techniken untersuchten wir die ökologischen Kaskaden auf den Hochlandökosystemen die einstmals von den Walfängern eingeleitet wurden als sie viele tausende Schildkröten aus den küstennahen Tieflandregionen entnahmen. Wir verfolgten dabei die Hypothese, dass saisonale Wanderungen der jetzt ausgerotteten Schildkrötenarten in das Hochland zur Folge hatte und dass es dabei zu einer gedrosselten und reduzierten intraspezifischen Kompetition kam. Wir fanden, dass sich dabei die damals vorherrschenden Pflanzengemeinschaftsdynamiken innerhalb eines Jahrzehnts nach dem Eintreffen der ersten Walfangschiffe die die Inseln besuchten veränderten. Es entstanden neue Pflanzengesellschaften mit einem bis dahin ungewöhnlichen Strauch der Gattung Miconia die die Sträucher der bis dahin vorkommenden Sträucher aus den Gattungen Alternanthera und Acalypha verdrängten. Allerdings waren es dann die Einfuhren von Rindern und Pferden die zur lokalen Ausrottung von Pflanzenarten führten wobei die größten Auswirkungen dieser Veränderungen erst um und nach 1930 erkennbar wurden. Dieser damals schon deutlich veränderte Status der Inselnatur wurde aber als natürlicher Zustand angenommen und hatte konsequenter Weise einen hohen Einfluss auf das Erhaltungsmanagement und die Erhaltungspraxis. Deshalb sollte die Restaurierung der natürlichen Landschaft um den El Junco-Krater dazu führen alle Farmtiere zu entfernen und durch wiederangesiedelte Riesenschildkröten zu ersetzen und es sollte neben den derzeit ausgeweiteten Wiederbepflanzungen mit Miconia auch wieder Sträucher der Gattungen Acalypha und Alternanthera angepflanzt werden.

Signifikanz Die Galápagosinseln sind Ikonen der Evolution und der Ökobeziehungen die als „Artenarm“ und „Ökologisch-Sensitiv (Empfindlich)“ anerkannt sind. Hier zeigen wir indirekte ökologische Kaskaden auf, die von den Walfängern die die Riesenschildkröten nahe der Küsten absammelten in den 1790-iger Jahren initiiert wurden und die sich bis heute auf das Innere des Hochlands der Insel San Cristóbal auswirken. Unsere Daten zeigen ebenso wie sich das Ersetzen der endemischen Herbivoren durch fremde (exotische) Herbivore, in der Hauptsache Rinder auf die lokale Vegetation auswirkte. Wir plädieren deshalb für die Restaurierung und Wiederansiedlung der Sträucherarten und der Schildkröten die vor dieser Einflussnahme durch den Menschen vorhanden waren um die Habitatwiederherstellung zu gewährleisten und um im Speziellen den sozioökonomischen Wert dieses Inselhochlandökosystems für den Tourismus wiederherzustellen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Dieses Abstract vermittelt nur einen wirklich sehr groben Überblick über das Anliegen dieser Studie. Der Inhalt der Arbeit ist aber wesentlich umfassender wobei einleitend die Geschichte der Insel, der Tierentnahmen und der Besiedlung des Hochlands durch Siedler detailliert und im zeitlichen Ablauf beschrieben wird. Hier wird die Geschichte die zum Verständnis der heutigen Situation überhaupt erst führte sehr eindrücklich geschildert und es wird sogar auf die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Vegetation und verschiedenen Carapaxformen der Schildkröten kurz eingegangen. Auch die Schildkrötenentnahmen mit Gewichten und Mengen wie sie aus alten Aufzeichnungen und anderen Publikationen ersichtlich sind werden geschildert. Ebenso wird die Untersuchungsmethode vorgestellt die benutzt wurde um diesen in Stufen ablaufenden Prozess der Vegetationsveränderung zu verdeutlichen. Dazu analysierten die Autoren im Wesentlichen die Sporen eines auf Tierkot wachsenden Pilzes (Sporomiella und Pollen) die sich in den Sedimentschichten des einzigen Süßwasserkratersees im Hochland abgelagert hatten. Damit konnte auch gezeigt werden, dass diese dort lokal einstmals lebenden Schildkröten mit rundlich gewölbten Carapax bis in die Hochlagen gewandert sein müssen. Ja und letztendlich wie aus dem Abstract schon aufgeführt hat man hier wieder in Bezug auf die Einschätzung der ursprünglichen Vegetation einen Denkfehler begangen, denn das bis heute praktizierte Naturerhaltungsmanagement basiert auf der in den 1930-iger Jahren vorgefundenen Vegetation und Landschaftsformation also einem Zustand der damals schon so stark verändert war, dass er eigentlich nicht mehr das widerspiegelte was als natürlicher Ausgangszustand anzusehen wäre. Ob sich dieser Ausgangszustand wieder herstellen ließe bleibt vorerst offen und kann z. B. bedingt durch den Klimawandel sich auch weiter verändern. Aber hier wird wieder einmal anhand der Vegetationsanalysen verdeutlicht was wir eigentlich im historischen Rückblick mitberücksichtigen sollten, wenn wir über Arterhaltung und Landschaftsrestaurierung diskutieren, denn manche Dinge lassen sich wahrscheinlich nie wieder so herstellen wie sie einmal waren (siehe dazu z.B. Saenz-Arroyo et al., 2006). Was wir aber dabei auch im Blick behalten sollten ist die Tatsache, dass solche Veränderungen auch Auswirkungen auf den Genfluss innerhalb von Arten (sowohl Pflanzen wie auch Tieren) haben und damit auch einen weiterführenden Einfluss auf die Evolution haben können ebenso wie sie auch zu neuen physiologischen Anpassungen führen können. Auf alle Fälle sollte uns diese Arbeit aber auch ins Gedächtnis rufen, dass wir als Schildkröteninteressierte eben nicht nur auf die Tiere schauen sollten, denn zu deren wie auch zu unserem Lebensraum gehört eben auch die Vegetation und ob es aus ökologischer Sicht Sinn ergibt zwischen Zoologie, Botanik, Mykologie und Bakteriologie zu trennen wage ich zu bezweifeln, denn wir tun es ja nur aus derzeitiger Unzulänglichkeit und Pragmatismus und vergessen dabei viel zu oft, dass wir Teil einer wesentlich komplexeren Welt sind ohne deren umfassenderes Verständnis wir ohnehin kaum Fehler und Fehleinschätzungen vermeiden können. Siehe dazu auch Rick & Lockwood (2012), John et al. (2016), Barnosky et al. (2017), Santos & Fiori (2020) und Szabo et al. (2020) sowie die dortigen Kommentare.

Literatur

Barnosky, A. D., E. A. Hadly, P. Gonzalez, J. Head, P. D. Polly, A. M. Lawing, J. T. Eronen, D. D. Ackerly, K. Alex, E. Biber, J. Blois, J. Brashares, G. Ceballos, E. Davis, G. P. Dietl, R. Dirzo, H. Doremus, M. Fortelius, H. W. Greene, J. Hellmann, T. Hickler, S. T. Jackson, M. Kemp, P. L. Koch, C. Kremen, E. L. Lindsey, C. Looy, C. R. Marshall, C. Mendenhall, A. Mulch, A. M. Mychajliw, C. Nowak, U. Ramakrishnan, J. Schnitzler, K. Das Shrestha, K. Solari, L. Stegner, M. A. Stegner, N. C. Stenseth, M. H. Wake & Z. Zhang (2017): Merging paleobiology with conservation biology to guide the future of terrestrial ecosystems. – Science; 355(6325): DOI: 10.1126/science.aah4787 ➚.

John, E. A., F. Soldati, O. H. P. Burman, A. Wilkinson & T. W. Pike (2016): Plant ecology meets animal cognition: impacts of animal memory on seed dispersal. – Plant Ecology 217: 1441-1456 oder Abstract-Archiv.

Rick, T. C. & R. Lockwood (2012): Integrating Paleobiology, Archeology, and History to Inform Biological Conservation. – Conservation Biology 27(1): 45-54 oder Abstract-Archiv.

Saenz-Arroyo, A., C. M. Roberts, J. Torre, M. Carino-Olvera & J. P. Hawkins (2006): The value of evidence about past abundance: marine fauna of the Gulf of California through the eyes of 16th to 19th century travellers. – Fish and Fisheries 7(2): 128-146 oder Abstract-Archiv.

Santos, C. F. M. dos & M. M. Fiori (2020): Turtles, indians and settlers: Podocnemis expansa exploitation and the Portuguese settlement in eighteenth-century Amazonia. – Topoi Revista de História 21(44): 350-373 oder Abstract-Archiv.

Szabo, B., D. W. A. Noble & M. J. Whiting (2020): Learning in non-avian reptiles 40 years on: advances and promising new directions. – Biological reviews of the Cambridge Philosophical Society 96(2): 331-356 oder Abstract-Archiv.

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